Machdeburch is uffjestiejen! Rückblick 2000/01: Die „AG Stimmung“ als Wegbereiter

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Ein fehlendes, lange verloren geglaubtes Puzzlestück fügt sich endlich ein in der Zweitligalandschaft. Der schlafende Riese ist endgültig erwacht. Der 1. FC Magdeburg ist dort, wo er (mindestens) hingehört: In den 2. Bundesliga! Halt! Stop! Das wurde bereits alles anlässlich des Aufstieges von der Regionalliga Nordost in die 3. Liga geschrieben. Statements, Analysen, Interviews. Ich meldete mich mehrmals zu Wort und schwärmte von der Rückkehr des 1. FCM in die oberen Gefilde der Fußballwelt. Zu lesen gab es einiges in „11 Freunde, „ZEIT“ und „elbsport“. Auch Rückblicke gab es einige. Die aus Magdeburger Sicht unfassbar bittere Regionalliga-Saison 2006/07 wurde häufig hinzugezogen. Damals hatte ich nach längerer Zeit mal wieder ein Spiel der Magdeburger live im Stadion verfolgt. Am 27. April 2007 stand ich gemeinsam mit Karsten im Gästeblock des Berliner Jahn-Sportparks und bestaunte den Auftritt der rund 2.000 FCM-Fans an jenem Freitagabend, die den 2:0-Auswärtssieg feierten. Der 1. FC Magdeburg kletterte auf Rang zwei der Regionalliga Nord, die 2. Bundesliga war zum Greifen nahe. Zwei Wochen später betrug der Vorsprung auf Rang drei (der zweite Platz genügte für den Aufstieg) bereits fünf Punkte. Und dann nahm das Unheil seinen Lauf. 1:1 gegen Bayer 04 Leverkusen II, 2:4 bei Kickers Emden und dann das 1:1 gegen den FC St. Pauli, der bereits als Aufsteiger feststand. Osnabrück schob sich vorbei, Magdeburg wurde nur Dritter. Es dauerte lange, bis sich der Verein von diesem Schock erholte und in der Regionalliga einen erneuten Anlauf nach oben nehmen konnte.

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FCM

Doch nicht die jüngere Vergangenheit soll das Thema anlässlich des jetzigen Aufstieges sein. Vielmehr möchte ich 18 Jahre zurück gehen. Der Zufall wollte es, dass inmitten mir von einem Freund zugeschickter alter Fanzines ein blaues Heftchen lag. „AG Stimmung - Das Fanmagazin“. Ausgabe 01/2001. Die Auflage dieses 4 DM kostenden Heftes betrug 500 Exemplare, und man darf gewiss davon ausgehen, dass in der Zwischenzeit gut Dreiviertel der Hefte im Nirvana gelandet sind bzw. in verstaubten Ecken diverser Keller und Dachböden lagern.

AG Stimmung

Da sich am Ende jener NOFV-Oberliga-Saison meine Wege mit dem 1. FC Magdeburg in Form der Aufstiegsspiele gegen den BFC Dynamo kreuzten, erscheint mir jene Saison passend für einen Rückblick. Zudem rückte damals der 1. FC Magdeburg nach zehn Jahren in den Fußballniederungen zurück an die bundesweite Öffentlichkeit. Grund dafür waren die legendären DFB-Pokalspiele gegen den 1. FC Köln, den FC Bayern München, den Karlsruher SC und den FC Schalke 04. Wie hieß es damals so schön auf einem Spruchband? „Wer Pokal sagt, meint den FCM!“

Zudem wurden zum Jahrtausendwechsel Grundlagen in Sachen Support geschaffen. Nach den eher tristen 1990ern gab es im Jahr 2000 neuen Schwung, ein festes Fundament wurde gebaut. Die Grundlagen für die spätere „Blau-weiße Einheitsfront“ wurden geschaffen. Wie im besagten Heftchen zu lesen ist, wurde damals von ein paar Fans die „AG Stimmung“ ins Leben gerufen, die eben auch jenes Heft herausbrachte. Eine Gruppe von zirka 25 FCM-Fans, bestehend aus einigen Mitgliedern der Fanclubs „Blaue Bomber“, „Commando Eastside“, „Webdeppen“, „FC Deutsch“ sowie mehreren Einzelpersonen, tat sich zusammen, um die Interessen der einzelnen Fanclubs zu bündeln und zu koordinieren. Erste größere Aktionen konnten auf den Rängen umgesetzt werden. Ein leuchtendes „FCM“, Papptafel-Aktionen, Wurfrollen und Spruchbänder sowie diverse Einsätze von Pyrotechnik als unterstützendes Stilmittel.

FCM

„Ultras Magdeburg??? Oh, oh, - ne, ganz so schlimm ist es (noch?) nicht. Aber ein kleines Häufchen hat sich auch in Magdeburg gefunden, denen ein gutes Gelingen auf den Rängen genauso wichtig ist, wie der Erfolg auf dem Rasen“, hieß es in der von Sascha (Susi) verfassten Einleitung des Heftes, das zu Beginn des Jahres 2001 gedruckt und unter die Leute gebracht wurde. Abgedruckt wurden sämtliche Partien der Hinrunde der Spielzeit 2000/01, die DFB-Pokalspiele sowie die Auftritte der zweiten Mannschaft in der Verbandsliga Sachsen-Anhalt inklusive. Es lohnt sich also, einen Blick hineinzuwerfen.

Nach drei Jahren in der Regionalliga musste der 1. FC Magdeburg wieder mit der NOFV-Oberliga Süd vorliebnehmen. Mit dabei waren einige alte Bekannte aus der DDR-Oberliga: FSV Zwickau, VfB Leipzig, Hallescher FC, Dynamo Dresden, Bischofswerdaer FV und Stahl Riesa. Zwar mag das Teilnehmerfeld lukrativ geklungen haben, doch für den FCM gab es nur ein Ziel: Die direkte Rückkehr in die Regionalliga! Denkbar mies begann jedoch jene Saison. Rund 400 mitgereiste Magdeburger mussten in Bischofswerda eine 1:2-Schlappe mit ansehen. Zudem ließen die polizeilichen Einsatzkräfte ihren Knüppeln freien Lauf. Sinnlos und ohne Menschenverstand sei der Einsatz gewesen. Verletzte FCM-Fans wurden einfach auf dem Boden liegen gelassen, und somit geriet das sportliche Abschneiden fast in Vergessenheit. Am zweiten Spieltag konnte vor 1.412 Zuschauern im Ernst-Grube-Stadion der erste Sieg eingefahren werden. 3:1 hieß es am Ende gegen den FSV Hoyerswerda. Nachgelegt wurde mit einem von 350 mitgereisten Fans gefeierten 4:0-Sieg beim VfB Chemnitz.

AG Stimmung

Die Mannschaft des 1. FC Magdeburg hatte sich quasi warm geschossen, denn wenige Tage später wurde in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals vor 12.000 Zuschauern der 1. FC Köln mit 5:2 weggeputzt! Der Autor des Heftes „AG Stimmung“ vermutete damals, dass die Berichterstattung im Vorfeld des Spiels des Jahres rund 2.000 Zuschauer gekostet hatte. Zum einen warnte der damalige Fanbeauftragte des 1. FC Köln vor einer Fahrt nach Magdeburg, denn dies sei „ein unangenehmes Pflaster“. Zum anderen gossen die Zeitungen im Rheinland und in Sachsen-Anhalt weitere Öl ins Feuer. So hieß es unter anderen: „Man weiß doch aus den Randalen der Vorjahre genau, was da in Magdeburg abgeht!“ Es wurde vermutet, dass Hooligans aus dem gesamten Osten anreisen würden, um die Kölner zu vermöbeln. Letztendlich blieb es im Großen und Ganzen friedlich.

Bleiben wir mal gleich bei den grandiosen Pokal-Auftritten des FCM. Am 01. November 2000 war ich mit einem Freund aus Frankfurt/Oder auf Achse, am Abend schneiten wir dann in meinem damaligen WG-Zimmer in Treptow rein. Fernseher an, Videotext geschaut. Wie hatte der 1. FC Magdeburg gegen den FC Bayern gespielt? Aber was hieß „gespielt“? Das Spiel lief ja noch! Wie jetzt?! Verlängerung?! Alter Schalter! Kanne Bier auf und vor die Glotze gehockt! Es stand 1:1 und dabei blieb es auch. Das Elfmeterschießen musste her. Paulo Sergio legte vor, Bode Schmidt legte nach. Und dann! Jens Jeremies konnte den Ball nicht unterbringen! „Dreszer! Dreszer!“, brüllten wir vor der Mattscheibe. Jan und ich kriegten uns gar nicht mehr ein vor Freude. Der polnische Torwart im Gehäuse der Magdeburger wurde der Held des Abends. Er hielt den schlecht geschossenen Elfer von Jeremies, und dann wehrte er auch den Schuss von Giovanne Elber ab. Wahnsinn! Auch die Bude in Berlin-Treptow bebte. Ost-, Ost-, Ostdeutschland! Als schließlich Hannemann den letzten Elfer sicher verwandelt hatte, gab es kein Halten mehr.

Und noch war lange nicht Schluss! 28 Tage später wurde im Ernst-Grube-Stadion vor rund 14.000 Zuschauern dem Karlsruher SC das Fürchten gelehrt. Mit 5:3 nach Verlängerung konnten die Magdeburger den KSC nach Hause schicken. Erst gegen den FC Schalke 04 musste sich der FCM aus dem DFB-Pokal verabschieden - und das denkbar knapp mit 0:1. Ein Sponsor hatte damals eine Blockfahne im Wert von 10.000 DM überreicht. Planlos wanderte diese vor dem Spiel durch den Block, schon bald hatte sie einen drei Meter langen Riss. Die geplante Choreo konnte jedoch wie geplant umgesetzt werden. Blaue und weiße Bahnen ergaben für damalige Verhältnisse einen ordentlichen Anblick. Die Stimmung war jedoch eher schlecht. Es waren wohl zu viele Zuschauer im Stadion, die das allererste Mal beim Fußball waren. Und so waren es nur die treuen FCM-Fans, die in der Oberliga regelmäßig ihren Club unterstützten, die nach Abpfiff den Spielern den verdienten Applaus spendeten.

In der Oberliga-Tabelle war der 1. FC Magdeburg zu jenem Zeitpunkt auf Rang zwei zu finden. Hinter dem VfB Leipzig und vor dem 1. FC Dynamo Dresden. Die Höhepunkte der Oberliga-Hinrunde: Am 08. September 2000 wurde in Dresden klar und deutlich mit 3:0 gewonnen. Wie der Zufall es wollte, wurden exakt zum Zeitpunkt des 2:0 des FCM in der Heimkurve 35 Bengalen gezündet. „Ein netter Zug von den Leuten!!!“, steht im Spielbericht von damals geschrieben. Ungemütlich wurde es nach dem Spiel, als geschätzte 2.000 Sachsen vor dem Gästekäfig warteten, in dem sich rund 400 FCM-Fans befanden. Während drei Fanbusse unter Blaulichtgeleit später die Stadt verlassen konnten, wurden die restlichen Fans „nach weiteren 20 Minuten sich selbst im nicht gerade ungefährlichen Dresdner Nachtleben überlassen“.

AG Stimmung

Ein blau-weißer Knaller wurde am 29. September 2000 das Heimspiel gegen den Halleschen FC. „Schon eure Väter waren Verlierer“, stand auf einem Spruchband geschrieben. Dazu wurden auf hochgehaltenen Pappen die Siege der Vergangenheit gezeigt. Und dann das! Mit 7:0 wurde der HFC vor rund 3.000 Zuschauern (rund 400 Gästefans) abgeschossen. Beim direkt folgenden Heimspiel gegen Wacker Nordhausen wurde vor 2.517 Zuschauern sogar noch ein Treffer draufgelegt. 8:0 lautete der Endstand. Eine 0:1-Niederlage gab es indes am 10. November 2000 gegen den VfB Leipzig. Rund 700 Gästefans hatten sich eingefunden, die immer wieder ein brachiales „L-O-K“ zum Besten gaben. Auf Heimseite gab es folgendes Spruchband zu lesen: „Mittwochs Mailand, Sonntag Sondershausen - ist es das was Ihr wollt?“ Angespielt wurde auf die 1:2-Niederlage zuvor bei Anhalt Dessau, bei der zirka 1.800 FCM-Fans im Paul-Greifzu-Stadion anwesend waren. Hitzig wurde es beim Spiel gegen die Leipziger. Aus dem Gästeblock heraus wurden Leuchtraketen in die anderen Blöcke geschossen, in der Heimkurve wurden zirka zehn Fackeln angezündet. Zudem hieß es auf einem gezeigten Plakat: „Sachsen halt´s Maul!“

AG Stimmung

Sportlich wieder besser lief es Anfang Dezember 2000, als beim FSV Zwickau rund 550 mitgereiste FCM-Fans einen klaren 4:1-Erfolg feiern durften. Ein Farbfoto vom Gästeblock ist als Doppelseite in der Mitte des Heftes zu finden. Blaue und weiße Folien wurden hochgehalten, am Geländer des Blocks befanden sich die Banner „Weißenfels“, „Cologne“, „Die Langweiler“, „Blaue Bomber Magdeburg“, „Meuselwitz“, „Roadrunner“ und „Fanclub Web-Deppen“. Mit diesem Foto soll dieser Rückblick auch langsam abschlossen werden. Am Ende der Saison konnte der 1. FC Magdeburg bekanntlich als Oberliga-Meister gegen den BFC Dynamo (Meister der Nord-Staffel) antreten. Nach dem 0:0 im Sportforum Hohenschönhausen folgte daheim im ausverkauften Ernst-Grube-Stadion ein 5:2-Sieg gegen die Weinroten. Der 1. FC Magdeburg war zurück in der Regionalliga, doch nach nur einem Jahr ging es wieder runter in die Oberliga. Zwar wurde sportlich die Saison gepackt, doch aufgrund des gestellten Insolvenzantrages ging es eine Etage tiefer. Alle die Einnahmen aus den grandiosen DFB-Pokalspiele des Herbstes 2000 waren längst aufgebraucht, der FCM stand wieder am Abgrund.

2001

Um den Bogen zu 2007 zu spannen: Nach vier Jahren in der Südstaffel der NOFV-Oberliga gelang 2006 der Sprung zurück in die Regionalliga. Und fast, ja fast, wäre der Durchmarsch in die 2. Bundesliga erfolgt. Das 1:1 gegen St. Pauli ließ am Ende die Träume platzen. Die Zeit danach wurde häufig genug beleuchtet und aufgearbeitet. Elf Jahre nach der 2007er Katastrophe gelang nun völlig verdient der Aufstieg in die 2. Bundesliga. Ob FCM-Fan oder nicht. Wir alle dürfen gespannt sein und uns auf die Auftritte der kommenden Saison freuen!

FCM

Fotos: Marco Bertram, Anne Hahn

> zur turus-Fotostrecke: 1. FC Magdeburg

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Artikel wurde veröffentlicht am
23 April 2018

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Kommt Ihr Lutscher, kommt! :-P
hach, ich freue mich echt auf Magdeburg.
K
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G
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Uffstiiiiiech !!!
sehr, sehr unterhaltsamer Blick in die Vergangenheit des Club !!
Bezeichnend für die Gegenwart des FCM ist das Foto zum Ende des Beitrages:
" ...am Boden der Tatsachen aber doch sooo glücklich ;))"

BWG an den TURUS !
F
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G
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G
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Gönne ich den Maggis
G
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R
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G
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Top!
G
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Ich bin echt gespannt, wie sich die Magdeburger in der 2. Liga verkaufen werden. Zum Bleistift in Köln.
A
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