Es war einmal in Cieplice: Fußball im Zeichen der Burg Chojnik

Sind die Waffen noch scharf genug, um in den weiteren bevorstehenden Schlachten zu bestehen? Oder haben sie sich in all den Jahren zu sehr abgenutzt? Sind sie stumpf geworden? Hält die Rüstung noch stand? Man weiß schließlich nie, wann der nächste Angriff aus dem Hinterhalt erfolgen könnte. Feinde gibt es womöglich genug, und diese lauern nur darauf, dass sich an einer Flanke die Blöße gegeben wird. Auf dem Rücken liegend blinzle ich in die Sonne, die zwischen den noch kahlen Ästen der Buchen und Eichen hindurch lugt. Ich fühle mich matt. Immense Müdigkeit kommt auf. Ich sinniere über das Leben. Über die Vergangenheit. Über die Zukunft. Dass der Tod nun mal zum Leben gehört, wurde meiner Familie kürzlich deutlich gemacht. Eine Beerdigung im nahen Umfeld nur wenige Tage vor Ostern. Hier im polnischen Cieplice‚ das zur Stadt Jelenia Góra gehört. Bei solchen ernüchternden Anlässen rückt der eigene Job in den Hintergrund. Und doch ist er omnipräsent. Ganz abschalten - das funktioniert nur sehr selten. Um mich abzulenken, lese ich einen Roman, während meine beiden Kinder auf dem im Park befindlichen Spielplatz sämtliche Geräte ausprobieren. Ich liege auf dem Rücken und halte das handliche Buch in die Höhe, so wie ich es einst auf der Wiese des elterlichen Gartens in Waldesruh vor den Toren Berlins immer getan hatte. Von der großen weiten Welt träumend verschlang ich Bücher über Nordamerika, die sibirischen Weiten, die großen Seefahrer und die Sagen des Altertums. 30 Jahre später sauge ich nun die Zeilen des Buches „Das Herz des Aals“ auf und staune über die von der Autorin Anne Hahn angewandte Sprachakrobatik.

Buch lesen

Nach ein paar weiteren Buchseiten schließe ich dann doch kurz die Augen und lausche all den fröhlichen Kinderstimmen. Der Spielplatz bietet dem Nachwuchs wahrlich zahlreiche Möglichkeiten, sich auszutoben. Für die Erwachsenen befinden sich am Rande des Geländes - wie in Polen durchaus üblich - ein paar Fitnessgeräte, um Beine und Oberkörper zu straffen. Schließlich muss auch das körperliche Rüstzeug im Alltag bestehen. Der kürzlich großzügig angelegte Spielplatz steht im krassen Kontrast zum daneben befindlichen Fußballplatz. Einzig und allein die neu aufgestellten strahlend weißen Tore zeigen, dass dieser noch wirklich genutzt wird. Am Rest nagt ganz gewaltig der Zahn der Zeit. Verbogene Geländer, kleine Überdachungen aus Wellblech für die Ersatzbänke und die kleine aus Bauschutt angelegte Anhöhe, auf der die traurigen Reste von ein paar Sitzbänken zu bestaunen sind, dürften einst zu tiefsten Volksrepublik-Zeiten errichtet worden sein.

Chojnik

„Boisko Klubu Sportowego ‚Chojnik‘“ ist auf einem alten aufgestellten Schild zu lesen. Auf diesem idyllischen Sportplatz, von dem aus man auf die Bergkette des Riesengebirges schaut, war der KS Chojnik Jelenia Góra beheimatet. Allerdings wurde der Spielbetrieb der ersten Mannschaft nach der Saison 2015/16 eingestellt. In der Klasa A (grupa Jelenia Góra I) wurden zuletzt nur ein Sieg (2:0 gegen Lesk Sędzisław) und ein Remis (2:2 gegen Orzeł Mysłakowice) eingefahren. Allerdings wurde bereits nach der Hinrunde die Mannschaft zurückgezogen, sodass die restlichen Partien allesamt mit 0:3 gewertet wurden. Schade, denn das 2:0 und das 2:2 waren die letzten beiden ausgetragenen Spiele! In der Vorsaison stand am Ende Rang 12 zu Buche. 2013/14 war es noch der elfte Platz.

Chojnik

In der Spielzeit 2011/12 gab es in der Klasa A noch die Spiele gegen den lokalen Rivalen Pub Gol Jelenia Góra, der dann als Tabellenletzter abgestiegen war, eine Auszeit nahm und 2016/17 wieder in der Klasa B einstieg. Der große Platzhirsch KS Karkonosze Jelenia Góra (der Begriff „Platzhirsch“ bekommt aufgrund des Logos eine ganz besondere Bedeutung) war in den vergangenen zehn Jahren stets höher (III Liga und IV Liga) angesiedelt, so dass es im Ligabetrieb keine Stadtduelle zwischen Chojnik und Karkonosze gab. Für den in Cieplice ansässigen KS Chojnik Jelenia Góra gab es vor 13 Jahren den größten sportlichen Erfolg im regionalen Pokal (Puchar Polski 2004/2005, grupa: Dolnośląski ZPN - Jelenia Góra) zu verzeichnen, als die dritte Runde erreicht wurde. Gegen Lotnik Jeżów Sudecki war dann in Form einerwenig erfreulichen 1:6-Klatsche allerdings Schluss.

Chojnik

Ein paar wenige Videos im Netz zeugen davon, wie Chojnik Jelenia Góra auf dem landschaftlich überaus reizvoll gelegenen Sportplatz im Park Norweski - gegenüber von der Therme und dem Park Zdrojowy - auflief. So zum Beispiel beim Heimspiel gegen KS Łomnica im August 2015. Kräftiges Gebolze auf staubigem Platz bei schönstem Sonnenschein. Die komplett in Blau angetretenen Gäste konnten die Partie mit 1:0 für sich entscheiden. Während die Burg Chojnik (Kynastburg) auf dem vom Sportplatz aus gut sichtbaren 627 Meter hohen Berg zu Zeiten des Mittelalters - so sagt man - aufgrund seiner guten Lage auf dem massiven Granitfelsen (ein Untergraben war somit unmöglich) niemals von Angreifern eingenommen werden konnte, hatte unten im Tal die Mannschaft mit den roten Burgzinnen im Vereinslogo eine recht löcherige Abwehrreihe. Die Fußballfestung KS Chojnik wurde immer wieder eingenommen und ergab sich quasi im Winter 2015/16. Die Burg im Vorland des Riesengebirges musste sich indes den Naturgewalten geschlagen geben. Am 31. August 1675 traf ein Blitz die Burganlage, die in der Folge komplett abbrannte und nicht wieder aufgebaut wurde.

Chojnik

So ist das nun mal. Wir können versuchen, uns zu verteidigen, uns abschotten und hoffen und beten, doch wenn die Natur zuschlägt, dann schlägt sie zu. Ob Blitzschlag oder plötzlicher Tod. Und so liege ich nun auf der Bank und blinzele die Baumkronen an. Ich bin froh, dass ich nicht allein im Park liege. Unsere beiden Söhne turnen auf den Gerüsten herum und probieren jede Schaukel und Rutsche aus.

Chojnik

Wie der Zufall will, findet gerade auf dem Platz ein Kick zweier Jugendmannschaften statt. Gespielt wird auf dem Großfeld, das kaum sichtbare Kreidelinien vorweisen kann. Vor die eigentlichen Tore wurden zwei Kleinere aufgestellt. Genutzt wird der Platz derzeit von der Akademia Piłkarska Chojnik Jelenia Góra, die fast das gleiche Logo hat wie der KS Chojnik Jelenia Góra. Die gleichen roten Burgzinnen, im Hintergrund die mit Schnee bedeckten Gipfel des Riesengebirges. Der einzige Unterschied: Statt der Schlange am Brunnen (Warmbrunn / Cieplice) wird der Hirsch von Jelenia Góra genutzt. Die Kids lassen munter den Ball rollen, nach dem Spiel werden sämtliche Gerätschaften davongetragen, und schon bald kehrt völlige Ruhe auf dem Sportplatz ein.

Chojnik

Zeit für eine Runde, um mit der Kamera die Details einzufangen. An der Rückwand einer Auswechselbank wurde ein Zettel angebracht. Bitte nicht den Sportplatz betreten und keine Tiere mitbringen! Ein Stück weiter fristet an der Ecke einer alten grün angestrichenen Holzbaracke ein ebenso alter verbeulter Papierkorb mit der Aufschrift „MPGK“ sein Dasein. Hinter einem alten Tor wurde eine schwere Walze abgelegt. Wohl seit gefühlter Ewigkeit kam diese auf der Wiese des Sportplatzes nicht mehr zum Einsatz.

Mülleimer

Daheim am Rechner suche ich im Netz nach weiteren Videos von KS Chojnik Jelenia Góra / Cieplice. Ob es Aufnahmen von Fans gibt? Und siehe da! Volltreffer! Die Sucheingabe „Chojnik Kibice“ brachte ein Suchergebnis. Im April 2013 fanden sich rund 20 Fans mit roten Schals und schmuckem Banner auf der kleinen Erhebung ein und feuerten ihre Mannschaft an. Bei jenem Heimspiel gegen Piast Bolków kam sogar Pyrotechnik zum Einsatz - und das nicht zu knapp! In den weißen und grauen Rauchschwaden gingen die „Chojnik-Ritter“ voll ab. Fünf Jahre später setzte ich nun meine beiden Jungs auf die verwaisten Reste der Steinbänke, damit sie sich gemeinsam das Spiel der Jugendmannschaften anschauen konnten. Das Leben geht weiter! Der Kampf geht weiter! Die Waffen sind geschärft - die Burg steht!

Chojnik!

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Polen

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
01 April 2018

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Traurige Geschichte!
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Chojnik :-)))
T
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