FC Bayern München Fußballfibel: Marcel Neudeck schaffte es, das Eis zu brechen!

 
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FC Bayern München?! Bäh! Pech und Schwefel! Hätte mir vor einigen Jahren jemand erklärt, dass ich im Januar 2018 einen positiven Bericht über ein Bayern-Buch schreiben würde, hätte ich ihn wahrlich für total bekloppt erklärt! Der deutsche Serien- und Rekordmeister war einst in den 1990ern - wie für viele andere auch - das rote Tuch schlechthin. In jungen Jahren fertigte ich in der Berufsschule immer Listen an. „Geile Vereine“ und „Scheiß Vereine“. Das Ranking änderte sich von Woche zu Woche. Da mir ein Kumpel aus dem Wohnheim mit seinem 1. FC Magdeburg auf gut Deutsch gesagt so richtig auf den Sack ging, landete der FCM glatt auf der negativen Liste. Wenn auch nur kurzzeitig. Das was Kumpels gut fanden, musste ich scheiße finden. Allein, um die anderen beim Gucken der Sportschau hübsch ärgern zu können. „Ha ha, kiek an, die blöde Eintracht wieder hübsch verkackt!“ Und auf dem Ascheplatz gab es dann eh klare Rollenverteilungen. „So, Jan, der Uli Stein kriegt jetzt richtig aufs Brett, scheiß Eintracht!“ Es wurde viel geneckt, gelästert und gestänkert. Die 1. Bundesliga stand hoch im Kurs. Die Kommerzialisierung-Thematik war noch nicht allgegenwärtig, wenn gleich es erste Vorzeichen gab und meine besten Freunde und ich das Ganze kritisch betrachteten. Nicht geneckt wurde allerdings, was den FC Bayern München betraf. Den fand eh keiner in meinem Umfeld dufte. Ich persönlich hasste ihn abgrundtief. Mehr ging nicht. Knackpunkt war das Ende der Saison 1991/92, als Jorginho aus meiner zwischenzeitlichen Wahlheimat Leverkusen an die Isar wechselte. Allein des Geldes wegen.

FCB

Ich weiß noch, wie ich damals als 19-Jähriger frustriert ein paar wütende Sätze in mein Tagebuch kritzelte. Geld! Ablöse! Mehr Gehalt. Eine Million Deutsche Mark im Jahr genügten nicht. Im Prinzip hatte sich das sowieso erledigt, was den Profifußball betraf. Ich fand das als in der DDR Aufgewachsener einfach zu irre, was in der Bundesliga und manch anderen europäischen Profiligen finanziell über die Bühne ging. Mich flashte das Fangeschehen in den Kurven jedoch zu sehr. Ich zeigte dem Fußball dann doch nicht die kalte Schulter. Ich blieb am Ball. Und ich liebte es, meinen Hass gegenüber dem FC Bayern München so richtig hübsch auszuleben. Wie es sich angefühlt hatte, als im Herbst 1997 der liebe Ulf Kirsten die Bayern-Clique in der 90. Minute mit einem Doppelschlag (Endstand 4:2) platte machte, beschrieb ich kürzlich in einem ausführlichen Rückblick. Es war orgiastisch! Wer solch einen Ausbruch der Freude beim Fußball noch nie erlebt hatte, der hat wirklich was verpasst! Der Mega-Orgasmus! Herrlich! Allein deswegen war ich froh, dass es diesen FC Bayern München gibt. Matthäus, Basler, Effenberg, Hoeneß, Jancker! Meine Fresse, an diesen Personen konnte man sich herrlich reiben. Was hatte ich gefeiert, als Manchester United das legendäre CL-Finale gewann. Die Bayern leiden zu sehen, war ein Hochgenuss. Am Boden zerstört. Fertig. Ich dachte an die Masse Geld, das die Bayern immer zur Verfügung hatten. An all die Spieler, die an die Isar gelockt wurden. An glücklich gedrehte Spiele und an das arrogante Verhalten des Managers.

Bayern

Später wurde mir der FC Bayern München immer mehr egal. Der Bundesliga-Fußball wurde immer mehr zum reinen Millionengeschäft, und mein persönlicher Fokus richtete sich mehr und mehr auf die 3. Liga, die Regionalligen und den Amateurfußball ganz unten. Was nicht heißen soll, dass ich nicht den Erstligafußball weiterhin verfolge. Jedoch ist die innere Hitze raus. Klar, am Konstrukt RB Leipzig konnte ich mich auch prima abarbeiten, doch ist dies kein Vergleich zum ausgelebten Hass gegenüber dem FC Bayern München vor über zwei Jahrzehnten. Ach schön, nun konnte ich diesbezüglich auch mal richtig auspacken. Anlass ist Band 16 der Reihe „Bibliothek des Deutschen Fußballs“, die beim Verlag Culturcon erschien.

Es dürfte sich rumgesprochen haben, dass ich die Bände über den BFC Dynamo und den F.C. Hansa Rostock verfassen durfte, und schon deshalb liegt es mir am Herzen, jede neue Fußballfibel zu lesen. Egal, ob über die BSG Chemie Leipzig, den FC Rot-Weiß Erfurt oder den FC Carl Zeiss Jena. Auch wenn die Zeit knapp ist - bei wem ist sie das eigentlich nicht? -, ich lese sie alle. Nach Möglichkeit gibt es auch eine ehrliche Rezension. Vor Weihnachten erschienen die Fußballfibeln über Jena und die Bayern im Doppelpack. Na, das passte ja. Meine Euphorie hielt sich in Grenzen, doch meine Neugier trieb mich ins „BAIZ“ in Berlin Prenzlauer Berg, wo die Autoren und der Herausgeber Frank Willmann die neuen Werke vorstellten.

Dass die „FC Carl Zeiss Jena Fußballfibel“ mir äußerst gut gefallen hatte, ist in der entsprechenden Rezension bereits nachzulesen. Genauso wie die Bücher über Rot-Weiß Erfurt und Energie Cottbus eine echte Überraschung. Mit Argwohn beobachtete ich indes im „BAIZ“ den Autor der „FC Bayern München Fußballfibel“. Wer ist es wohl, der über diesen Verein das Büchlein verfasste? Ich trank mein Bier, lehnte mich zurück und ermahnte mich. Abwarten! Erst einmal hören, was er zu sagen hat. Was er vorlesen wird. Der Autor war mir auf Anhieb nicht unsympathisch. Keiner aus der aktiven Fanszene, aber auch kein arroganter abgehobener Schnösel.

FC Bayern

Und was soll ich sagen? Als er das Kapitel „Meet the Legend“ vorlas, brach nach und nach das innere Eis. Marcel Neudeck hatte sich kürzlich auf den Weg nach Bosnien und Herzegowina gemacht, um im Heimatort von Hasan Salihamidžić auf Spurensuche zu gehen. Von Sarajevo aus fuhr Marcel Neudeck nach Jablanica, wo einst am 01. Januar 1977 „Brazzo“ das Licht der Welt erblickt hat. Da der Autor in den Jahren zuvor eh einige Male den Balkan bereist hatte, gelang ihm mit diesem Kapitel ein wirklich gekonnter Einblick in den dortigen Alltag. Seit 2001 war ich auch einige Male in den verschiedenen Regionen des Balkans unterwegs, und beim Lauschen im „BAIZ“ fühlte ich mich gedanklich nach Bosnien und Herzegowina versetzt. Bayern hin, Bayern her. Ich beschloss, auch diese Fußballfibel in gesamter Länge zu lesen. Das besagte Kapitel war schon mal ein absoluter Volltreffer. Inhaltlich möchte ich da nichts vorweg nehmen. Nur so viel: Marcel Neudeck kam mit „Brazzos“ Vater ins Gespräch, und „Brazzos“ Geschichte von der Flucht nach Deutschland war mir im Detail gar nicht so bekannt.

Kurzum, das Buch kam ins Reisegepäck. Auf der einen oder anderen Zugfahrt wurde immer wieder ein Kapitel gelesen. Das Schöne an der gesamten Buchreihe: Keine Fußballfibel ist wie die anderen. Es gibt kein bestimmtes Schema. Keine Fußballfibel kommt als 0815-Buch daher. Jeder Autor ging bislang auf seinem völlig eigenen Weg an die Sache heran. Der eine schrieb aus dem inneren Kern der aktiven Fanszene heraus, der andere beleuchtete das Ganze eher historisch, wiederum ein anderer machte eine ganz persönliche Geschichte draus. Und klar, während ein gelungenes Buch über die BSG Chemie Leipzig sofort reißenden Absatz findet, da es bekanntlich nicht hunderte Werke über diesen Verein gibt, hat man es als Autor, der Zeilen dem FC Bayern München widmet, wirklich verdammt schwer. Der Markt ist zugeschwemmt mit Druckware über den deutschen Rekordmeister. Was ist noch nicht gesagt und beleuchtet worden?

Respekt, Marcel Neudeck hat seinen Weg gefunden. Zum einen nahm er das Leben von Personen der Vereinsgeschichte unter die Lupe. Er kam mit Uri Siegel in Gespräch. Er schrieb über Siegels Onkel Kurt Landauer, der einst Vereinspräsident war. Der beleuchte Zeitraum von 1930 bis 1960 ist wirklich überaus spannend. Textlich gut verknüpfen konnte Marcel Neudeck die Aktivitäten der Gruppierung „Schickeria“, die intensive Traditionspflege betreibt und fast vergessene Namen wieder in Erinnerung ruft.

Kutte

Überaus interessant ist auch das Kapitel „Der ‚Großverein FC Bayern München‘ und die Sportschau-Tabelle“. Seit wann dominierte eigentlich der FC Bayern nicht nur das sportliche Geschehen auf dem grünen Rasen, sondern auch die „Sportschau“? Sprich, seit wann ist der FC Bayern Tabellenführer, was die Sendezeit betrifft? Es dürfte kaum überraschen, dass in der Saison 1965/66 Borussia Dortmund, der TSV 1860 München und der FC Schalke 04 die Sendezeit-Tabelle anführten. Während über den BVB knapp drei Stunden lang berichtet wurde, bekam der FC Bayern „nur“ zwei Stunden Sendezeit. Der Clou: Der Autor hat die Differenz mit aufgenommen. Sendezeit und tatsächliche Platzierung in der Tabelle. Da kamen die Knappen vom Schalker Markt als 14. wahrlich gut weg, was die Sendezeit betraf. Das erste Mal auf Rang eins in der Sportschau-Tabelle waren die Bayern in der Saison 1968/69. Lief es mal nicht so gut, rutschte man auch in dieser Tabelle mal oder weniger deutlich ab. So geschehen 1977/78 (Sendezeit: Rang 6, BL-Tabelle: Rang 12) und 1991/92 (Sendezeit: Rang 13, BL-Tabelle: Rang 10). In der Ewigen Sportschau-Tabelle von 1965 bis 1992 belegen die Bayern trotz der zwischenzeitlichen Einbrüche mit einer Sendezeit von 77 Stunden ganz klar Rang eins vor dem Hamburger SV, über den insgesamt 59 Minuten lang berichtet wurde. Auch hier wurden die Differenzen mit angegeben.

FC Bayern

Gut weg kamen einst unter anderen der F.C. Hansa Rostock (Differenz +5) und Dynamo Dresden (Differenz +2), richtig schlecht weg kam bezüglich der Sendezeit Rot-Weiß Oberhausen (Differenz -10). Und auch der MSV Duisburg bekam während seiner Bundesliga-Zeiten im Verhältnis zu wenig Sendezeit (Differenz -6). Und bevor hier langsam aber sicher zum Schluss gekommen wird, noch eine überaus interessante Statistik aus der Spielzeit 1971/72. Während von den Spielen des FC Schalke 04 und des FC Bayern München jeweils insgesamt rund vier Stunden lang in der Sportschau berichtet wurde, kam Arminia Bielefeld auf insgesamt gerade mal 4 Minuten und 20 Sekunden! Hammer! Gibt es Bielefeld wirklich nicht?

Was es wirklich gibt, ist die „FC Bayern München Fußballfibel“ - und auch für diese spreche ich eine klare Kaufempfehlung aus. Und das fällt mir nicht mal schwer! ;.-)

Fotos: Marco Bertram, K.H., Claude Rapp

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Artikel wurde veröffentlicht am
25 Januar 2018

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