Meppen vs. Chemnitz: Zweitliga-Erinnerungen, Gummistiefel und gefaltete Handtücher

Die 2. Bundesliga Anfang / Mitte der 1990er Jahre. Abseits des Erstligaalltags irgendwie ein Notnagel. Auch wenn es ab und an die eine knackige, farbenfrohe Begegnung gab, so blieb mir persönlich die zweite Liga zu jener Zeit vor allem in trüben, tristen Farben hängen. 2. Bundesliga - das waren für mich Hertha-Heimspiele in der maroden Schüssel vor 6.000 Zuschauern, Freitagabendspiele bei Fortuna Köln im Südstadion bei Nieselregen und Nebel, erschreckend trostlose Kicks von Fortuna Düsseldorf im gähnend leeren Rheinstadion, Ausflüge ins Remscheider Röntgenstadion (das damals schon Old School wirkte) und der Blick am Montagmorgen in den "Kölner Express" und den "Leverkusener Stadtanzeiger." Wie ist der Stand in der 1. und 2. Bundesliga und in all den Oberligen (die Regionalligen wurden erst 1994 wieder eingeführt)? Neben dem SC Fortuna Köln waren der SV Meppen und der Chemnitzer FC für mich der Inbegriff für den - hm ja - grauen, öden Zweitligaalltag. Der große Zuschauerboom kam zu Beginn der 1990er Jahre in der 1. Bundesliga so langsam in Schwung, die 2. Bundesliga war indes kein Vergleich zur jener der vergangenen Jahre, die zuletzt fantechnisch mitunter die erste Liga in den Schatten stellen konnte.

Meppen

Der Chemnitzer FC zu Gast bei Fortuna Düsseldorf. Der SV Meppen zu Gast beim Wuppertaler SV. Letztgenannter war aufgrund des Zuschauerzuspruchs ein echter Lichtblick. Beim Blick in die Gästeblöcke verzogen sich jedoch Mundwinkel. Mal wieder Langeweile in der neuen Wahlheimat im Rheinland. Von Freitag bis Sonntag das komplette Fußballprogramm gestartet. 2. Liga, 1. Liga und am Sonntag noch irgendein Kick in der Oberliga. Zur Not tat es auch ein Spiel der Amateure des TSV Bayer 04 Leverkusen im kleinen Haberland-Stadion. Erste Liga war die Wonne. Bei manchen Spielen abseits der großen Abenteuerspielplätze Müngersdorfer Stadion, Westfalenstadion, Bökelberg, Parkstadion und Ruhrstadion konnte allerdings schon mal die Sinnfrage aufkommen. Warum stehe ich an einem verpissten Novemberabend im Kölner Südstadion? Ohne jeglichen Bezug zu den kickenden Mannschaften. Warum waren andere aus der Ausbildungsklasse in Bergisch-Gladbach mit heißen Bräuten auf einer Cocktailparty, ich aber mit anderen Unentwegten in recht spärlich gefüllten windigen Kurven?! Aber wat willste machen? Die Sucht hatte mich fest im Griff. Das Fußballfiber hatte mich 1990/91 langsam aber sicher gepackt. Ich war infiziert - und ich benötigte die hohe Dosis.

1992

Und was den Chemnitzer FC betraf, so werde ich bei diesem Verein immer wieder an die gefalteten Handtücher denken müssen. Bis ans Lebensende. Als „der Chemnitzer“ im Herbst 1991 sorgsam die Hemden zusammengelegt und die frisch gewaschenen Handtücher gefaltet hatte, dachte ich, ich sei im falschen Film. Alter! Was trafen in unserem Doppelzimmer des Ausbildungswohnheimes in Leverkusen-Schlebusch für Welten aufeinander! Auf der einen Seiten der leicht durchgeknallte, BW-Stiefel tragende Ost-Berliner, der gleich am ersten Tag die kahlen weißen Wände auf seiner Zimmerhälfte mit Armeepostern und ersten Fußballschals vollhängte und seinen halben Hausrat in den Schränken verstaute. Auf der anderen Seite ein Chemnitzer, dem in der DDR wohl eine stramm rote Laufbahn vorhergesagt wurde, nun aber beruflich umschwenkte, ebenso eine Ausbildung beim „Werk“ antrat und mit einer kleinen Tasche angereist war. Karierte Schlafanzüge, ein paar Hemden, Socken, Schlüpper und ein Buch. Fertig. Die zu faltenden Handtücher wurden ja vom Wohnheim zur Verfügung gestellt. Sport frei! Das war der Abtörn schlechthin, und Chemnitz war (vorerst) abgestempelt.

wohnheim

Nicht dass es Zoff gab, er war ja ein stiller friedlicher Zeitgenosse, doch als er anfing vom Chemnitzer FC in höchsten Tönen zu schwärmen, fiel ich vom Glauben ab. Ein morgendlicher Blick auf die Zweitligatabelle - und ich musste an den himmelblauen Handtuchfalter denken, der mit Verachtung meine aus Berlin angeschleppte Ausstattung beäugte. Ich habe die ersten Monate im Doppelzimmer verdrängt. Später wechselte ich in ein Einzelzimmer und fühlte mich pudelwohl. Die Zeit zuvor - hm ja. Es hatte was von Knast. Im Zimmer war ein Waschbecken für Zähneputzen und Katzenwäsche. Auf dem Flur befand sich die Gemeinschaftsdusche. Abstoßend war beides. Im Schlüpper stehend auf der kratzigen Auslegware bürstete man die Kauleiste, im vor einem hängenden Spiegel sah man, wie der andere im Bett lag und am Buch vorbeischielte. Der Chemnitzer. Ich schmeiß mich weg! Er muss mich gehasst haben. Den Depp, der vom FC Berlin und von Hertha BSC faselte und sich morgens die Jeans hochkrempelte.

FC Berlin

Nachdem wir beide Einzelzimmer bekommen hatten, würdigten wir uns keines Blickes mehr. Nur noch in der Gemeinschaftsküche, im Waschkeller oder im vermufften, süßlich riechenden Fernsehraum lief man sich über den Weg, wenn Samstagabend „anpfiff“, „ran“ oder die „Sportschau“ liefen. Einen Höhepunkt gab es, als wir allesamt im Frühjahr 1993 uns das DFB-Pokalfinale Hertha BSC II vs. Chemnitzer FC angeschaut hatten. Sein Gesicht! Goldwert! Und ich? Machte die Säge. Jawoll! Berlin, Berlin!

CFC

Es ist witzig, dass eine ganze Schar Chemnitzer in meinem jetzigen Freundeskreis zu finden sind. Wöchentlich wird unser Magazin mit Fotos von den Spielen der Himmelblauen versorgt, und mein Blick auf den Verein ist ein völlig anderer als der vor einem Vierteljahrhundert. Den Handtuchfalter hatte ich schon vergessen. Verdrängt. Doch als am vergangenen Wochenende der Chemnitzer FC beim SV Meppen antrat, musste ich an die Zeit der frühen 1990er denken. Meppen. Chemnitz. Seit über 20 Jahren sind sich zuvor die beiden Vereine nicht mehr begegnet. Im Zeitraum von 1992 bis 1996 sind in der Bilanz acht Begegnungen zu finden. Dreimal gewannen die Sachsen, vermal behielten die Emsländer die Oberhand. Das erste Spiel fand am 02. September 1992 statt. Vor 3.560 Zuschauern trennten sich beide Mannschaften in Chemnitz torlos. An den Linien standen zwei wohl bekannte Trainer. Hans Meyer und Horst Ehrmantraut. Bei der damals letzten Begegnung am 10. März 1996 im Emslandstadion war Ehrmantraut noch immer der Chef an der Außenlinie. Vor 6.500 Zuschauern gewann Meppen mit 2:0, die Treffer erzielten Mario Lau und Markus von Ahlen. In den Reihen der Gäste war Jens Melzig mit dabei, der wenig später einer der großen Aufstiegshelden beim FC Energie Cottbus wurde.

Meppen

21 Jahre später. Fast exakt die gleiche Zuschauerzahl wie damals im März 1996 konnte am vergangenen Samstag verzeichnet werden. 6.235 Zuschauer fanden sich auf den Rängen der Hänsch-Arena ein. Wiedersehen im Rahmen der 3. Liga. Nach dem verdienten Aufstieg sind die Emsländer wieder aus der sportlichen Versenkung aufgetaucht. Plötzlich sind sie wieder da auf bundesweiter Bühne. Und man nimmt sich gern selbst auf die Schippe und spielt mit seinem eigenen Ruf. Ja, ja, die Provinz. Die Bauern. Die Gummistiefelträger. „Da fliegt die Kuh“, ist auf einer Zaunfahne zu lesen. Dazu das gefleckte Tier mit den berühmten Gummistiefeln an den Hufen.

Meppen

Fein, dass unsere Fotografen Lenny und Sachseninformer vor Ort im Emsland waren. Mit Genuss betrachtete ich die Aufnahmen und dachte, Mensch, es wird höchste Zeit, auch mal nach Meppen zu fahren! Das Wochenende um den 03. Februar 2018 herum notiere ich schon mal. Dann wird die Kogge das Emsland ansteuern. Der letzte Auftritt des F.C. Hansa Rostock in Meppen liegt ebenfalls ein paar Jährchen zurück. Am 23. Oktober 1994 konnte Meppen gegen den FCH mit 2:1 gewinnen. Die Zuschauerzahl: 6.500. Damals wohl Standard bei den Heimspielen.

Meppen

Zurück zum Spiel am vergangenen Wochenende, als der Nordost-Vertreter aus dem einstigen Karl-Marx-Stadt zu Gast war. Was für ein verrücktes Spiel! Bereits in der ersten Minute konnten die Himmelblauen in Führung gehen. Im Gästeblock wurden noch die zahlreichen mitgebrachten Fähnchen geschwenkt, als der Ball von der rechten Seite reingebracht und anschließend von Björn Kluft versenkt wurde. Gerade mal 22 Sekunden wurde gespielt - und schon gab es die erste Jubelorgie. Die passende Antwort hatte der Gastgeber nach einer Stunde parat. Doppelschlag von Benjamin Girth, der vor seiner Zeit in Meppen und Kassel beim VFC Plauen, bei RB Leipzig und beim 1. FC Magdeburg gespielt hatte. 56. Minute: Nach einem hereingebrachten Freistoß war Girth noch leicht mit dem Kopf dran - Ausgleich zum 1:1. Jubel auf der Heimseite. Der eine oder andere Bierbecher segelte vor Freude durch die Luft.

Meppen

Nur sechs Minuten später: Nach einer Meppener Ecke konnte sich Chemnitz nicht befreien, der Ball segelte scharf in den Strafraum, wieder war Girth mit dem Köpfchen zur Stelle. 2:1 für Meppen. Das Stadion wurde zum Tollhaus. Ernüchterung indes nur drei Minuten später. Chemnitz kam über die rechte Seite, der ukrainische Stürmer Miroslav Slavov machte den Ausgleich zum 2:2 klar. „Endlich 18 - endlich richtig saufen“, war bei diesem Spiel im Gästeblock auf einem großen Spruchband zu lesen. Die „Ultras Chemnitz“ feierten ihren 18. Geburtstag - und nach dem Spiel hätte man auf einen Punktgewinn sauber anstoßen können. Aus dem erhofften Punktgewinn wurde jedoch nichts. Denn noch einmal war Girth zur Stelle - und das zwei Minuten vor Ablauf der regulären Spielzeit. Der Ball kam dieses Mal von der linken Seite, dieses Mal war es der rechte Fuß, der den Ball in die Maschen drückte.

Meppen

3:2 für Meppen - dabei blieb es am Ende. 24 Punkte in 15 Partien - eine prima Bilanz für einen Aufsteiger. Chemnitz muss indes mit drei Punkten Polster zur Abstiegszone aufpassen, dass man nicht wieder tiefer unten reingezogen wird. Apropos, ganz oben hinter dem Tabellenführer aus Paderborn ist auf Rang zwei der SC Fortuna Köln zu finden. Der einstige ewige Zweitligist der 70er, 80er und 90er Jahre. 26 Spielzeiten in der 2. Bundesliga hat Fortuna Köln auf dem Konto. Nur der FC St. Pauli (28) und die SpVgg Greuther Fürth (29) haben mehr. Wer weiß, vielleicht kehren die Jungs aus dem Südstadion nach 17 Jahren Zweitligaabstinenz wieder zurück in die 2. Bundesliga. Womit der Kreis in diesem Bericht geschlossen wäre…

Kölle

Fotos: Sachseninformer, Marcus Hengst, Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: SV Meppen

> zur turus-Fotostrecke: Chemnitzer FC

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
07 November 2017
Spielergebnis:
3:2
Zuschauerzahl:
6.300

Benutzer-Kommentare

4 Kommentare
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G
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Neben Meppen, Unterhaching und Fortuna Köln natürlich ganz klar Mainz 05.
Damals das alte Bruchwegstadion zum Montagabend mit 3.000 Zuschauern (was damals ganz gut war)...da sieht man heute wie sich ein Image über die Jahre (und dem Erfolg) ändern kann.
R
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Deine Schwenks in die Vergangenheit sind jedesmal großartig ausformuliert
und sehr unterhaltsam zu lesen. NEVER STOP!
Schwarz Rote Grüße aus Leipzig Connewitz
S
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G
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