Trauer und Wut! Stadt Brandenburg verschrottet die Leuchttürme der Stahl-Historie

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Auf dem Titelbild der FB-Seite des FC Stahl Brandenburg stehen die Masten im Abendrot. Oben markant abgeknickt, als Silhouette ganz klar zur Stadt Brandenburg gehörend. Im Hintergrund färbt die untergehende Sonne die faserigen Schleierwolken. Wer sich die Flutlichtmasten gern anschauen möchte, dem bleibt jetzt allerdings nur noch diese stimmungsvolle Aufnahme - oder halt all die anderen tausenden Fotos, die im Netz zu finden sind. Die Flutlichtmasten des Stadions am Quenz (Stahlstadion) sind Geschichte - und man mag es kaum glauben. Am Abend des 26. Juli 2017 wurde auf der Seite des FC Stahl Brandenburg ein letztes Foto gepostet. „Einsam steht er da, der letzte der 4 Masten. Macht´s gut Jungs, es war schön mit Euch!“ Was für ein trauriger Anblick! Fast die gleiche Perspektive wie auf dem Titelbild, nur dass nur noch einer der vier Masten stand. Der Kampf des Vereins und seiner Fans ging verloren. Die Stadt setzte letztendlich durch, dass statt der Sanierung der Masten der Abriss in Angriff genommen wurde. Passend dazu war auf der Anzeigetafel im Stadion zu lesen: „Politik kennt keine Tradition *Unfassbar*“

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BSG Stahl

Coleraine FC und IFK Göteborg. Die legendären UEFA-Cup-Duelle im Herbst 1986 hatten die Flutlichtmasten noch nicht erleben dürfen. Vor 18.000 Zuschauern wurde am 01. Oktober 1986 der nordirische Vertreter mit 1:0 geschlagen. Frank Jeske erzielte damals in der 41. Minute den Treffer des Tages. In der zweiten Runde musste sich die BSG Stahl Brandenburg im Hinspiel in Schweden mit 0:2 geschlagen gegeben. Das Rückspiel im Stahlstadion wollten am 05. November 1986 rund 22.000 Fußballfreunde sehen, inoffiziell waren es wohl sogar einige mehr. Die BSG Stahl Brandenburg kämpfte, kurz vor der Pause erzielte Jan Voß einen Treffer - doch am Ende genügte es nur zu einem 1:1. Immerhin, mit erhobenen Haupt durfte die Mannschaft den Rasen verlassen. Die Teilnahme im Europapokal war der Meilenstein schlechthin in der Vereinsgeschichte. Besungen werden die Auftritte auch im legendären Lied „Stahlfeuer“ von Fauxpas.

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„Ich war noch ein Junge, als das Fiber über mich kam. Nichts war mir so heilig wie die wöchentliche Pilgerfahrt auf gesegnetem Gebiet …“ Wie ein Komet stieg die BSG Stahl Brandenburg Mitte der 1980er Jahre empor. In den 1950ern und 1960ern spielte die 1950 ins Leben gerufene BSG Stahl Brandenburg noch in der Bezirksliga Potsdam. Von 1970 bis 1984 folgten die Jahre in der DDR-Liga (zweite Liga). 1983/84 durfte schließlich in der Staffel B der Meistertitel gefeiert werden. Vor der BSG Motor Babelsberg, der BSG Stahl Eisenhüttenstadt, der BSG Energie Cottbus, der SG Dynamo Fürstenwalde und der BSG Rotation Berlin. Das Abenteuer DDR-Oberliga konnte beginnen. Nach dem elften Platz in der Spielzeit 1984/85 folgte dann Rang fünf in der Saison 1985/86. Ein wahrer Paukenschlag! Unter anderen wurde die SG Dynamo Dresden und der FC Karl-Marx-Stadt hinter sich gelassen. Nur der BFC Dynamo, der 1. FC Lokomotive Leipzig, der FC Carl Zeiss Jena und der 1. FC Magdeburg waren in jener Saison am Ende besser platziert.

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Und das gute Abschneiden der BSG Stahl Brandenburg war keine Eintagsfliege! Am Ende der Saison 1987/88 sprang sogar Rang vier heraus! Allerdings genügte dies nicht zur Teilnahme am UEFA-Pokal. Die DDR hatte nun nur noch zwei Starter in diesem Wettbewerb, und anders als 1986 war der FDGB-Pokalsieger (in diesem Fall Jena) nicht mit ganz oben, sondern auf dem sechsten Platz zu finden. Fakt ist, in der Sportführung der DDR musste nun erkannt werden, dass die Jungs aus Brandenburg an der Havel eine feste Größe sind und mit ihnen auch in Zukunft zu rechnen sei. Der Bezirk Potsdam hatte ein echtes Aushängeschild - und dieses konnte den Platzhirschen aus Ostberlin, Dresden und Leipzig wirklich Paroli bieten. 

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Also dann! Aufrüsten im Stadion! Die elektronische Anzeigetafel wurde bereits 1986 eingeweiht (inzwischen wurde diese von den Fans zu einer mechanischen Version umgebaut), in der Saison 1988/89 wurde mit dem Bau der Flutlichtmasten begonnen. Es wurde rangeklotzt, die Beleuchtungsstärke sollte für internationale Ansprüche locker genügen. Hätte man die Masten komplett bestückt, dann hätte die Leuchtkraft die der Masten des Leipziger Zentralstadions übertroffen. Fertiggestellt wurden diese in der DDR nicht mehr, der Eiserne Vorhang fiel im Herbst 1989 und es gab wichtigere Baustellen als das Flutlicht im Brandenburger Stadion. In der Nachwendezeit konnte sich Stahl Brandenburg noch kurzzeitig wacker schlagen und spielte - im Gegensatz zu einigen anderen Platzhirschen - als BSV Stahl Brandenburg 1991/92 in der 2. Bundesliga. Wer erinnert sich nicht an das Skandalspiel gegen den FC Bayer 05 Uerdingen, als unter dubiosen Umständen die halbe Mannschaft nach und nach vom Platz gestellt wurde?! 

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Im Anschluss jener Saison folgte der sportliche Absturz. Ein kurzes Aufflackern in der Spielzeit 1994/95, als der BSV Brandenburg (ja, nun ohne „Stahl“ am Start) in der Regionalliga Nordost sein Stelldichein gab. Als Tabellenvorletzter ging es jedoch am Ende runter in die NOFV-Oberliga Nord. Eine Rückkehr in die Regionalliga wollte nicht mehr gelingen. Es ging 1996 runter in die Verbandsliga, zwei Jahre später musste der BSV Brandenburg Konkurs anmelden. Glücklicherweise wurde in direkter Folge der FC Stahl Brandenburg gegründet, der ganz klar in der Tradition des Vorläufervereins steht. 

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In der Zwischenzeit wurde Mitte der 1990er Jahre das Flutlicht im Stadion am Quenz in Betrieb genommen. Allerdings nur mit 2.000 Lux. Das sollte genügen für Leichtathletikabende und ähnliche Veranstaltungen. Die oberen Reihen der Flutlichter blieben frei. Die Zeiten beim FC Stahl Brandenburg blieben stürmisch. Die volle Unterstützung von Seiten der Stadt gab es wohl eher selten. In Brandenburg an der Havel hatten die Politiker kaum ein Problem damit, den FC Stahl komplett von der Landkarte verschwinden zu lassen. Es gab inzwischen andere Aushängeschilder. 2007 wurde eine Fusion mit dem Lokalrivalen Brandenburger SC Süd 05 angestrebt. Ein NoGo für die Fans beider Vereine. Zum Glück konnte sich erfolgreich gewehrt werden. 

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Sportlich gab es wenig später wieder einen zarten Hoffnungsschimmer am Horizont. Nach den Jahren in der Landesliga glückte im Juni 2009 der Aufstieg in die Brandenburgliga (sechste Liga). In der Aufstiegsrunde konnte gegen den aufstrebenden RSV Waltersdorf 09 mit 1:0 und 6:2 gewonnen werden. Es folgten Jahre in der Brandenburgliga, immer wieder wurde im letzten Moment der drohende Abstieg verhindert. Auf dem Schirm der Lokalpolitiker tauchte der FC Stahl Brandenburg sicherlich kaum noch auf. Als bekannt wurde, dass es Probleme mit der Statik der Flutlichtmasten geben würde, schien recht fix beschlossen, dass die Masten am Besten gleich entfernt werden können. Schließlich könnten Leichtathletikveranstaltungen auch bequem an Nachmittagen ausgetragen werden. Und der FC Stahl Brandenburg? Würde wohl kaum so schnell in die Oberliga oder gar Regionalliga aufsteigen.

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Verein und Fans setzten sich ganz klar für den Erhalt der Flutlichtmasten ein. Es wurden Gegengutachten in Auftrag gegeben und mögliche Geldgeber für die Sanierung der Fundamente bzw. der Masten gesucht. Ohne Erfolg. Zwar tauchte in letzter Sekunde ein möglicher Geldgeber auf, doch der Abriss war inzwischen beschlossen. Die Stadtverordnetenversammlung hatte für die Abtragung der vier Masten gestimmt. Die Diskussionen blieben erhitzt. Es nutzte nichts. Eifrig schnell wurde das Gerät herangekarrt, Mast für Mast wurde entfernt. Sehr zum Leidwesen der Fans. Was bleibt: Ein Kopfschütteln! Woanders wäre man froh, wenn aufrüstbare / ausbaufähige Flutlichtmasten vorhanden wären. Im Alfred-Kunze-Sportpark in Leipzig-Leutzsch, im Berliner Poststadion …

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Mitte Juni (Leichtathletikfest) und Mitte Juli (Testspiel gegen die VSG Altglienicke) hatten wir (Philipp und ich bzw. der Sachseninformer) noch einmal im Stadion am Quenz vorbeigeschaut, um zum Abschied ein paar Fotos vom Stadion mit seinen Flutlichtmasten anzufertigen. Der allerletzte Blick blieb jedoch turus.net Autor Karsten vorbehalten, der Anfang der 1980er als Kind kurzzeitig in Brandenburg an der Havel gewohnt hatte. Am 23. Juli 2017 fuhr er am Stadion am Quenz vorbei und schoss für unser Magazin die letzten Fotos von den verbliebenden Masten. Rechts von der Anzeigetafel ragte nur noch ein Stumpf empor. Ein erschütternder Anblick. Dem Spruch auf der Anzeigetafel ist wahrlich nichts hinzuzufügen: „Politik kennt keine Tradition *Unfassbar*“


Fotos: Karsten H., Marco Bertram, Sachseninformer

> zur turus-Fotostrecke: FC Stahl Brandenburg

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
28 Juli 2017

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Kommentare
Ist wirklich schade,
um den Ground.
Aber leider zeigt sich hier mal wieder der Zusammenhang zwischen Nichterfolg, (zu großer) Infrastruktur und (nicht vorhandenen) Geldgebern. Aber nicht nur das. Wo sind denn all die Stahlfans die letzten Jahre gewesen?! Zuschauerzahlen zwischen 70 und 200 Leutchen. Was will man dann mit so einem Stadion? Wie will man das mit belastbaren Fakten und nicht mit der romantisierenden "Tradition" belegen? Gibt es ggf. ein Konzept, wie man die Regionalliga erreichen will? Dazu die Nähe zum Buli-Fußball mit der Hertha...
Mit den sich abzeichnenden Bedingungen reicht der Nebenplatz.

P.S. mit dem Grube-Stadion bzw. deren Haupttribüne ist in Riesa ein weiterer Ground stark bedroht. Aber gut, Stahl spielt in seiner eigenen Arena.
R
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Bitter! :-(
B
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Armes Brandenburg. Schmucke Altstadt, aber der Rest der Stadt wird vergessen. Ich sage nur "Görden": Sieht immer noch so aus wie vor 30 Jahren nur die Namen der Geschäfte haben sich geändert.
G
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Sehr guter Breicht über meinem Heimatverein. Jetzt ist es nicht mehr wie ich es kenne. Scheiß Politiker die nur an sich denken.
G
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G
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ByeBye war schön mit euch.
G
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