Kulturschock in Warnemünde, zu Gast bei Grimmen gegen Dynamo Rostock

M Updated 10 Juli 2017
Kulturschock in Warnemünde, zu Gast bei Grimmen gegen Dynamo Rostock

Freunde, der Sommer ist fast vorbei und bisher gab es rein gar nichts über ein Testspiel zu lesen. Rügen stand auf dem Programm. Das wurde mit dem Sichten der Testspielansetzungen schlagartig geändert, da dort, auf der uns allen bekannten Informationsplattform, ein Spiel auf dem Hauptplatz in Warnemünde angekündigt wurde. Schnell schrieb ich die Grimmener an, die dort zum Trainingslager weilten. Keine Sorge, ihr Ultras von nah und fern, zu den Grimmener Fans besteht kein Kontakt, weswegen man mir ein Spiel j.w.d. verweigern könnte. Grimmen, also der GSV, hat nicht einmal geantwortet. Über einen Umweg gelangte die Bestätigung dann doch zu mir.

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Keine Sorge, Ultra-Deutschland, das hatte nichts mit Hansa zu tun. Es stand fest, dass der GSV gegen den PSV Rostock (zu DDR-Zeiten als SG Dynamo Rostock / SG Dynamo Rostock-Mitte am Start) auf dem Rasenplatz des Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadions in Warnemünde antreten wird. Das ist die „Blaue Mauritius“ im Land zum Leben. Nicht ganz, aber dort (auf dem Hauptplatz) wird nicht so häufig gespielt. Dennoch hielt sich die Begeisterung bei potenziellen Mitfahrern in Grenzen. Lassen wir mal die Gründe Arbeit und Elternbesuch durchgehen. Unverhofft meldete sich noch einer der Polen. Einer aus Rzeszów. Hey, keine Sorge, weder Resovia, noch Stal. Aber das ist die beste Gelegenheit, dem Ausländer Wissen über Land und Leute zu vermitteln. Ihr müsst verstehen, die armen ausländischen Studenten sind nur unter sich und unter den einheimischen Studenten. Der Kontakt mit den hiesigen Müllers und Meiers liegt irgendwo bei Null. Wir zählen mal die Supermarktkonversation nicht mit.

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„Am Leuchtturm von Warnemünde fahren die Schiff ein und aus!“, das war der Hansa-Hit zum Fahrtauftakt. Noch nie in meinem Leben war ich bisher dort gewesen. Ein peinlicher weißer Fleck auf meiner Landkarte. Der kleine Waldspaziergang vor dem Spiel schien meinem Gast aus den Vorkaparten schon gefallen zu haben. Weniger gefielen mir die Aufwärmübungen auf dem KR1 des Jahn-Stadions. Ein rascher Blick zum Hauptplatz brachte die Erleichterung. Grünes Licht. Das Kreuz kann nun endlich gesetzt werden. Im Jahn-Stadion wird sonst nur sehr selten gespielt. Dem Polen war das Ziel des Spiels bisher fremd. Das Kreuz zählt! Daraus ergab sich ein kurzes Referat mit Hopper-Geschichten aus den letzten Jahren. Er konnte es nicht verstehen, dass Leute schon am Stadiontor stehen und sehnlich auf den letzten Pfiff des Schiedsrichters warten, nur um den Platz mit ruhigem Gewissen verlassen zu können. In Polen kommen die Fans manchmal später und gehen früher – aber aus anderen Gründen. Die Diskussion über ein frühzeitiges Verschwinden erübrigte sich, als plötzlich zwei Spieler den Fußballplatz mit dem Boxring verwechselten. Der Schiedsrichter hat’s nicht gesehen, wir umso besser. 

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Dann machten sich die Grimmener sogar untereinander an mit: „Da haste dir aber nen schönen Testspielgegner gesucht!“ Im Allgemeinen waren die Sprüche auf und abseits des Platzes erste Sahne. Ich übersetzte fleißig und er staunte, wie groß der Unterschied doch zwischen dem hyperspießigen Studierenden und dem lässigen deutschen Ottonormalverbraucher vom Fußballplatz ist. Entspannung pur beim Testspiel an frischer Luft. Langsam fing er an, unsere Lebensweise zu verstehen. Tore fielen übrigens auch. Der PSV fabrizierte zwei schöne. Der GSV verkürzte in der zweiten Hälfte und kassierte aber noch eins – Endstand 1:3. Nebenbei erklärte ich ihm ein paar deutsche Eigenheiten. Warum rufen die PSV-Spieler vor dem Spiel laut „Dynamo“? Das ist ein Relikt aus DDR-Zeiten – so wie die Bänke aus dem alten Ostseestadion, die hier der Erosion ausgesetzt sind.

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Der Zustand des Jahn-Stadions kann nicht mehr als gut bewertet werden. Der Sprecherturm fällt bald zusammen, der Basketballkorb verschwindet hinter Pflanzen. Die eine Trainerkabine erinnert mehr an ein Cabrio, die Stangen der Sportplatzbarriere rosten vor sich hin. Dagegen ist der KR-Platz  modern und mit Strandkörben bestückt. Im schnieken Vereinshaus hängt übrigens der alte Spielberichtsbogen vom 97er Pokalspiel gegen Borussia Dortmund. Meinem Gast fielen sofort die vielen deutschen Namen auf – Jürgen Kohler, Wolfgang de Beer, Knut Reinhard, Stefan Klos. So war das damals. Während vorhin noch über Hopper gelästert wurde, die auf den Schlusspfiff warteten, traf es uns nun selbst. Noch 20 Minuten, nur 12 Minuten, noch fünf Minuten und dann war endlich Ende im Gelände. Die heiße Atmosphäre vom Spielfeld verteilte sich in der zweiten Hälfte über dem Platz als alles verbrennende Sonnenstrahlen.

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Für den Rückweg ließen wir uns noch den Gespensterwald bei Nienhagen. Da sage noch einer, unser MV sei hässlich! Abschließend ging es zu einem Dorffest. Hier drehte sich alles um das Land und die Leute. Und das war heute keine Alibi-Ausrede wie noch vor ein paar Jahren, als man natürlich wegen des Knallbums nach Polen fuhr und bei Fragen doch eher auf den oben beschriebenen Punkt verwies, um nicht zu erröten. Schnell erkannte auch er, was hier los ist: Viele Rentner, wenige Kinder, die Mitte fehlt. Außerdem sprangen noch ein paar urdeutsche Typen herum. Einer trug das Shirt mit dem Berserker drauf. Das weckte bei meinem polnischen Freund Erinnerungen an Computerspiele, in denen die Berserker stets die stärksten und tapfersten Kämpfer waren. Kaum waren die Worte gesprochen, lief uns noch eins dieser Exemplare wie aus dem Flimmerkasten über den Weg – zwei Meter groß und Oberarme wie kleine Baumstämme! Angekommen im heimischen Plattenbau bedankte sich mein Pole für die „zajebista akcja“ und er weiß nun, dass es auch eine Welt außerhalb kleinlichen Studierendenkosmos gibt. 

Wald

Fotos: Michael

> zur turus-Fotostrecke: Unterklassenfußball Region Nordost

Artikel wurde veröffentlicht am
09 Juli 2017
Spielergebnis:
1:3

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