Cottbuser Auftritt gegen den FC Carl Zeiss Jena: Eine faustdicke Überraschung!

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Während Irene den Kaffee eingoss, stellte sie ihrem Mann die übliche Frage. „Und, gehst du am Sonntag wieder ins Stadion?“ Ein Schluck Filterkaffee mit 7,5-prozentiger Sahne und dann die Antwort: „Zu Energie? Nee, ich geh lieber in den Garten. Klar Schiff machen, die Bäume beschneiden. Die kriegen doch eh nichts gebacken!“ Mit der Portion Grundmuffigkeit, die durchaus in zahlreichen ostbrandenburgischen Familien zu bestaunen ist, entschied Jürgen, nicht ins Stadion der Freundschaft zu gehen. „Ach, Energie…“ Nach all den Abstiegen winken die meisten älteren Familienväter nur noch traurig ab. Zeitung lesen, in den Baumarkt fahren, im Garten werkeln, mit Irene pünktlich zu Tisch gehen und um 15:30 Uhr den Kaffee aufsetzen. Dazu ein Stück Streuselkuchen und ein Stück Zuckerkuchen. Alles hat eine festen Ablauf. Leider gehörten zuletzt die Abstiege des FC Energie Cottbus auch dazu. Was war das Mitte der 90er Jahre eine fette Überraschung, als sich in der Lausitz etwas tat und der zu DDR-Zeiten nun wahrlich nicht große FC Energie Cottbus in der gesamtdeutschen Fußballlandschaft plötzlich auf die große Bühne trat. Aufstieg in die 2. Bundesliga, wenig später sogar der Sprung in die 1. Bundesliga. Gemeinsam mit dem F.C. Hansa Rostock wurde plötzlich die ostdeutsche Fahne im Fußballoberhaus kraftvoll hochgehalten. Cottbus war plötzlich in aller Munde. Die Familienpapas der gesamten Region pilgerten plötzlich zu Energie. Auch maulige 50-Jährige, die einst fest dem FC Vorwärts Frankfurt (Oder) die Daumen drückten, fanden plötzlich das Lächeln wieder und sahen sich als Brandenburger angemessen präsentiert. Vergessen all die Unsicherheit der Nachwendezeit. All die Benachteiligungen der ostdeutschen eher strukturschwachen Regionen. Wir sind Energie! Um so größer das Entsetzen, nachdem es wieder mit atemberaubender Geschwindigkeit sportlich bergab ging. Die Maulereien am Kaffeetisch vor der Laube nahmen wieder zu. Papa Jürgen - eigentlich bereits eher ein Opa - konnte von Irene kaum noch besänftigt werden. Jürgen ließ Energie Energie sein und widmete sich wieder verstärkt dem Baumschnitt und dem Ausbau des Schuppens. Es muss schließlich alles seine Ordnung haben.

Wie schwer es ist, in der Lausitz das Publikum wieder zu gewinnen, durfte in der 2. Bundesliga und vor allem in der 3. Liga beobachtet werden. Klar, die aktiven Fans blieben stets dem FC Energie Cottbus treu. An Nachwuchs mangelte es nicht, schließlich stieß manch ein jüngerer Fan erst zu Drittligazeiten hinzu. Für ihn steht außer Frage, dass man Cottbus vertritt und unterstützt. Schließlich waren die Gegner in der 3. Liga nun auch nicht die schlechtesten. Dass jedoch ein Großteil des allgemeinen Publikums wegbrach, war bei den Spielen gegen Dynamo Dresden, Hansa Rostock und den 1. FC Magdeburg zu sehen. Dank der prall gefüllten Gästebereiche waren die Zuschauerzahlen sicherlich akzeptabel, doch selbst bei den interessanten Ost-Duellen klafften große Lücken auf der Gegengerade und in den Eckblöcken. In der Regionalliga ist klar erkennbar: Die Heimbasis besteht aus rund 5.000 Zuschauern, auswärts kann sich der FC Energie auf zwischen 500 und 1.000 Fans verlassen. Keine schlechten Hausnummern für die Viertklassigkeit, doch dass sich zu Hause wieder wirklich was auf den Rängen bewegt - dazu wird fast ein Wunder benötigt. Dass Jürgen von der Datsche wieder den Weg ins Stadion findet - nun ja, dazu braucht es wirklich gute Argumente.

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Die bisherige Saison war gar kein sooo schlechtes Argument. Mit komplett neuer Mannschaft wurde auf Anhieb in der Regionalliga Nordost oben mitgespielt. Schade nur aus Sicht der Lausitzer, dass der FC Carl Zeiss Jena bislang einen noch besseren Lauf hatte. 18 Siege in 25 Partien, nur zweimal wurde vor dem zurückliegenden Spitzenspiel verloren. Die Zeichen schienen klar: Die Jungs aus dem Paradies werden wohl Staffelmeister werden und in der Aufstiegsrunde nach Stand der Dinge gegen Meppen, Unterhaching Viktoria Köln, Elversberg oder Waldhof Mannheim antreten. Nachdem Jena souverän beim Berliner AK 07 gewinnen konnte und zeitgleich Cottbus daheim gegen Auerbach verloren hatte, schienen alle Messen gelesen. „Alles scheiße!“ Jürgen schmeckte der Kaffee nicht, mochte die Stampfkartoffeln mit grüne Bohnen und Setzei nicht futtern und schloss sich in seinem Schuppen ein. Nachdem in der Folge Jena zweimal nicht über ein Remis hinauskam, schien Cottbus plötzlich doch wieder im Geschäft sein. Die von Trainer Wollitz zitierte neue Serie musste her. Peng, ein 4:0 bei Budissa Bautzen. Dann das Nachholspiel beim FC Viktoria 1889 Berlin unter der Woche. Ein Sieg und der Rückstand würde weiter schmolzen. Gegen kompakt stehende Berliner wollte jedoch kein Treffer gelingen. Immerhin konnte der eigene Kasten sauber gehalten werden. Aber trotzdem, ein 0:0 war zu wenig. Das würde ein bis zweitausend Zuschauer kosten, ahnte ich. Jürgen & Co würden dann doch wieder muffig sein und dem einstigen Liebling die Zuneigung und Unterstützung entziehen.

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Umso größer dann die Überraschung am vergangenen Sonntag. 13.290 Zuschauer fanden den Weg ins Stadion der Freundschaft! Auch wenn der wohl gefüllte Gästeblock abgezogen wird, bleiben noch immer über 10.000 Fans, die an diesem Nachmittag ihre Mannschaft unterstützten. Zuletzt gab es dies beim dramatischen Saisonfinale gegen die U23 des 1. FSV Mainz 05, als vor über 13.000 Zuschauern in der 89. und 90.+1. Minute noch zwei Gegentreffer fielen, das 2:3 und somit der bittere Abstieg in die Viertklassigkeit hingenommen werden musste. Zuvor gegen den 1. FC Magdeburg waren es sogar nur 8.404 Zuschauern - inklusive der zahlreich angereisten FCM-Fans. Selbst beim Heimspiel gegen die SG Dynamo Dresden konnte in der zurückliegenden Drittligasaison auf Heimseite nur knapp die 10.000er Marke erreicht werden. 

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Fakt ist, beide Seiten hatten am vergangenen Sonntag mächtig mobil gemacht. Jena reiste mit einer sehr stattlichen Anzahl Fans - es waren mehr als 2.000 - in die Lausitz, und auf Heimseite ließ sich auch manch ein Fan sehen, der seit Zweitligazeiten nicht mehr das Stadion der Freundschaft betreten hatte. Wenn es in dieser Saison noch eine Chance geben soll, um Rang eins mitzuspielen, dann musste dieses „6-Punkte-Spiel“ gegen Jena gewonnen werden. Alles oder nichts. Alles auf eine Karte. Ein hübsches Remis würde nicht genügen, ein Dreier musste her! Und die Energie-Mannschaft wollte diesen Sieg. Logisch, dass Mannschaften immer gewinnen möchten (es sei denn, böse Kräfte haben ihre Hände mit im Spiel), doch es macht schon einen Unterschied, ob ich das Spiel routiniert abspulen möchte oder ob ich eben halt das letzte Quentchen Einsatz in die Waagschale lege.

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Der Cottbuser Sieg darf hoch eingeschätzt werden, da die Gäste aus dem Paradies bereits nach nicht einmal einer Viertelstunde mit 1:0 in Führung gingen. Aus über 15 Metern haute Matthias Kühne den Ball von schräg rechts ins Lausitzer Gehäuse. Unhaltbar schlug das Spielgerät unter der Latte ein. Die mitgereisten Fans waren zurecht aus dem Häuschen. Über 4.000 Arme wurden hochgerissen, aus Sicht des Tabellenführers schien nun alles seinen sozialistischen, äh, thüringischen Gang zu gehen. Cottbus geschockt? Nein, keinesfalls! Es wurde - wie von der ersten Minute an - kräftig gedrückt. Und das mit Erfolg. In der 34. Minute bekam Jena den Ball nicht aus der Gefahrenzone, aus kurzer Distanz schlug Abwehrspieler Marc Stein zu. Wenig später regten sich die Gäste zurecht auf. Nach einem Foul knapp innerhalb des Strafraums gab es statt des Elfmeters einen Freistoß von der Linie aus. Diesen konnten die Gäste jedoch nicht verwerten.

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Und auch im zweiten Spielabschnitt lief es aus Sicht der Cottbuser optimal. So musste Sören Eismann nach einer Stunde mit Gelb-Rot vom Platz. Den folgenden Freistoß wusste Cottbus auch sogleich zu verwerten. Björn Ziegenbein übernahm Verantwortung und brachte den Schuss unter, Abwehr und Keeper der Gäste sahen dabei nicht wirklich gut aus. 2:1 für den FC Energie, das Stadion glich nun einem Tollhaus. Jena warf nun alles nach vorn, doch den Sack zumachen konnte der Gastgeber. In der 86. Minute stürmte der zwei Minuten zuvor eingewechselte Streli Mamba bei einem Konter mit Schmackes nach vorn. Er ließ mehrere Gegenspieler stehen und schob von schräg links zum 3:1 ein - das war der Sieg für Cottbus. Und wahrlich: Beides wurde nicht für möglich gehalten. Nicht die große Kulisse und schon mal gar nicht den völlig verdienten Sieg gegen den Tabellenführer.

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Und nun? Der Vorsprung des Tabellenführers beträgt noch immer fünf Punkte. Was aus Sicht der Cottbuser zu tun ist? Am besten jedes verbleibende Spiel gewinnen - und dann abwarten und Tee trinken. Das Restprogramm sieht wie folgt aus: Der FC Carl Zeiss Jena hat noch folgende Aufgaben vor sich: Luckenwalde (H), Nordhausen (A), Oberlausitz (H), Lok Leipzig (A), RB Leipzig II (H), Schönberg (A), FC Viktoria 1889 (H), BFC Dynamo (A). Für den FC Cottbus stehen noch folgende Partien an: Fürstenwalde (H), Neustrelitz (H), Berliner AK (A), Hertha BSC II (H), Babelsberg (A), Luckenwalde (A), Nordhausen (H), Oberlausitz (A). 

Fotos: turus.net

> zur turus-Fotostrecke: FC Energie Cottbus

> zur turus-Fotostrecke: FC Carl Zeiss Jena

Artikel wurde veröffentlicht am
04 April 2017
Spielergebnis:
3:1
Zuschauerzahl:
13.290
Gästefans
2500

Benutzer-Kommentare

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G
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Sehr treffende Ansicht über Jürgen und Irene. Ein sehr ansprechender Artikel der das Geschehen der vergangenen Tage, Monate und Jahre von Energie und seinen Fans wiederspiegelt.
G
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Bin Jena-Fan. Finde diesen Artikel sehr ansprechend. Ansprechender als das Gastspiel. Wir holen den Staffelsieg, davon bin ich überzeugt, weil Cottbus die ersten fünf Ligaspiele noch in der Findungsphase war... 8, jetzt 5 Punkte, das ist zu viel. Nächste Saison seit ihr dran! :)
Z
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Sehr gut zu lesen!
G
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