Emotionen statt Verbitterung: Ein Video des FC Kopenhagen löst Tränen der Rührung aus

Schräg hinter mir schläft mein größerer Sohn. Ein halbvolles tschechisches Bier steht neben mir. Ich drücke auf „Pause“. Stille. Leise rattert die Festplatte des Laptops. Ein Blick auf die Uhr: 22:45 Uhr. Ich drücke wieder „Play“. Über die Lautsprecherknöpfe in den Ohren höre ich die Musik, das Klatschen von Menschen. Den Jubel, die Gesänge, die begeisterten Aufschreie. Ich bin zutiefst gerührt. Meine Augen werden feucht. Ich spule noch einmal zurück und starre auf den Bildschirm. Der Mannschaftsbus des F.C. Kobenhavn setzt sich in Bewegung. Im Zeitraffer werden die abendlichen Straßen passiert. Im Businnern sitzen die Spieler und schauen entspannt auf ihre Smartphones. Einer schaut verträumt aus dem Fenster. Vor dem Stadion Parken warten indes zahlreiche Fans. CL-Heimspiel gegen den FC Porto. Mit einem Sieg würde der FCK auf Rang zwei vorrücken. Im Stadion brennen bereits die Flutlichter. Wie in einem Kinofilm bewegt sich die Kamera und zeigt aus luftiger Höhe die Totale. Das Stadion, die Menschen auf der Straße. Der Mannschaftsbus trifft am Stadion ein, und eine erste Rakete wird abgeschossen. Der Startschuss. Mit einem Mal lodert es auf der Straße. Die FCK-Fans bereiten ihren Spielern einen gebührenden Empfang. Keine „Gewalttäter Sport“, sondern Fußballfans, die ihrer Mannschaft zeigen möchten, wie wichtig dieser Auftritt auf europäischem Parkett ist.

 

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„Se spillernes ankomst i aftes - ovenfra og indefra!“ (Die Ankunft der Spieler in den letzten Nacht - von oben und von innen!) heißt der Titel des dreieinhalbminütigen Videos, das die Macher von FCK TV im youtube-Kanal des F.C. Kobenhavn online gestellt haben. Man mag es kaum glauben. Dieser Film ist fast zu schön um wahr zu sein. Aus der Luft wird zwischendurch gezeigt wie die Raketen in die Höhe fliegen und die Fackeln in den Händen der Fans brennen. Langsam bahnt sich der Bus den Weg durch die Menge. Lächelnde, fröhliche Gesichter im Innern des Busses. Mit ihren Handys fertigen einige Spieler Videos an. Welcher Fußballspieler möchte nicht so empfangen werden? Sichtlich bewegte Spieler, Nahaufnahmen von den Gesichtern. Draußen schreitet ein Ordner voran und schaut, ob der Weg frei ist. Konfetti segelt durch die Luft, die Fans jubeln den Spielern zu. Im Hintergrund des Videoclips läuft beruhigende Musik. Alles gut, alles entspannt, alles friedlich, alles im Rahmen. Schließlich fährt der Bus ein, die Spieler laufen in ihren Anzügen vorbei. Zum Abschluss schließlich noch einmal eine Totale vom Stadion. Draußen fließt der Verkehr, die Fackeln sind erloschen. Dann wird es auch vor dem Stadion dunkel, nur im Innern leuchten noch die Flutlichter. Die Musik wird ruhiger und geht in eine Art Grundrauschen über.

Wow, denke ich und atme tief durch. Die Flasche Bier ist inzwischen leer. Die Uhr zeigt nun 23.15 an. Wieder und immer wieder hatte ich die einzelnen Sequenzen betrachtet. Ein großartiges Video. Es ist nicht das erste Filmchen aus den skandinavischen Ländern, das von sich Reden macht. Trauer befällt mich. Warum ist hierzulande so etwas nicht (mehr) möglich? Undenkbar, dass derzeit ein deutscher Fußballverein solch ein Video ins Netz stellen würde. Nicht, dass es an den Fußballfans liegen würde. Auch hier gab es bekanntlich epische Momente. Die Verabschiedung von Ulf Kirsten in Dresden und ebenso das letzte Abendspiel unter den „Giraffen“ im alten Harbig-Stadion. Es gibt etliche Momente in den vergangenen Jahren, in denen mit Hilfe von Pyrotechnik eine einmalige Atmosphäre geschaffen wurde. Und selbst bei vollkommen friedlichen Ereignissen (Stichwort Erfurt) grätschten Verband und Behörden brachial rein. Kein Wunder also, dass inzwischen jede PR-Abteilung eines deutschen Fußballvereins einen Teufel tun würde, solch eine Art Video ins Netz zu stellen.

Verbissen, verbittert, ernüchternd. Ausgemergelt und erschöpft von jahrelangen Diskussionen und verbalen Kämpfen - so wirkt im Vergleich zum Video aus Kopenhagen die deutsche Fußballlandschaft. Wenn ich mir das Video des FCK anschaue, ist es, als dürfe man bei einer grandiosen Party nur von außen zu schauen. Nicht, dass es hierzulande keine Pyro-Aktionen gibt. Allerdings werden diese verteufelt und zunehmend härter bestraft. Die Diskussionen werden auch innerhalb der deutschen Fanszenen härter geführt. „Muss das denn sein?“, „War der Zeitpunkt nicht denkbar unglücklich gewählt?“, „Da habt ihr uns wieder einen Bärendienst erwiesen!“, „Was das wieder kostet!“, „Alles Idioten! Sollen doch diese Deppen die Strafe zahlen!“ Steter Tropfen höhlt den Stein. Von der breiten Masse werden Ultras und Pyrotechnik immer mehr als akute Bedrohung wahrgenommen. Einen Weg zurück wird es so schnell nicht geben. Ein Großteil der Medien, die Verbände und die Behörden haben über Jahre hinweg ganze Arbeit geleistet.

Nun ist es wahrlich ein Unterschied, ob ich auf den Rängen etwas zünde oder vor dem Stadion auf der Straße (schließlich kann ich die abgebrannten Fackeln draußen problemlos auf den Asphalt legen), doch in der allgemeinen Wahrnehmung wird es kaum noch einen Unterschied geben. Fackeln beim Abschlusstraining? Fackeln beim Empfang nach der Derby-Sieg? Wenn gleich in diesem Fall nicht immer sofort von Chaoten gesprochen wird, so erscheinen doch dem allgemeinen Fußballfreund etwaige Hooligans und Radau-Brüder vor dem geistigen Auge. Der Zusammenhang zwischen Pyrotechnik und friedlich feiernden Fußballfans ist doch hierzulande für die meisten kaum noch herstellbar. Und so sitze ich vor dem Laptop, denke nach und werde noch trauriger. Während es in skandinavischen Ländern Einigungen bezüglich des Einsatzes von Pyrotechnik gibt (Stichwort norwegisches Modell), herrscht innerhalb der deutschen Grenzen immer mehr das Zero-Tolerance-Prinzip. Schaut man in die Nachbarländer Schweiz und Österreich: Dort wird seit jeher das Ganze lockerer betrachtet. Und auch auch in polnischen Stadien ist wieder weitaus mehr möglich, als im Zuge der Euro 2012 - wenn es denn halbwegs im Rahmen bleibt, nicht zur tatsächlicher Randale ausufert oder gar die UEFA in Form von Choreos zu sehr aufs Korn genommen wird. Vom Balkan wollen wir erst gar nicht sprechen. 

Und so sitze ich hier mitten in der Nacht. Das Video ist weggeklickt. Stille. Ich höre das leise Atmen unseres sechsjährigen Söhnchens. Was wird ihn erwarten, wenn er in einigen Jahren womöglich als Fan ins Stadion pilgert? Ich mag mir das gar nicht ausmalen. Und ja, nicht allein die harten Strafen von Seiten der Behörden und des Verbandes machen einen Angst und Bange. Vielmehr diese hart geführten Diskussionen lassen ein zutiefst mulmiges Gefühl in der Magengrube aufkommen. Verdammt, wo sind nur die Lockerheit und Fröhlichkeit in diesem Land geblieben?!

Foto: Lukas (Der FCK beim FK Jablonec nad Nisou 97)

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Dänemark

Video:

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Artikel wurde veröffentlicht am
25 November 2016

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3 Kommentare
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Kommentare
Toller Artikel!
Du sprichst mir mal wieder aus der Seele!!!
Wir warten weiter mit Angst auf das "Gottesurteil" des DFB zum "Ausrasten der Hansafans" in Magdeburg...?
Man kann sicher geteilter Meinung zu Pyroktionen sein, aber: Ich bin froh das mein Sohn schon 13 wird und sowas bei seinem allerersten Auswärtsspiel erleben durfte.
Jan
JK
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J
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G
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