O tempores, o mores – HSV Amateure gegen SV Meppen

M Updated 02 November 2016
O tempores, o mores – HSV Amateure gegen SV Meppen

Fußballbesuche ermöglichen ja den Einblick in einen Schnitt durch die Gesellschaft, da sich dort die Schichten vermischen. Noch besser eignen sich Fahrten zu den Spielen per Zug. Das Programm Eimsbüttel II gegen die Falken mit einem anschließenden Regionalliga-Spiel lässt sich sehr gut mit einem Bahn-Angebot bewältigen. Die erste Bahn nach Stralsund, die noch vor dem ersten Krähen des Hahnes und der Morgenröte fährt, ist normalerweise Magnet für kotzendes Partyvolk. Vielleicht ist es heut zu kalt oder die Musik war zu schlecht, jedenfalls gibt es nur normale Reisende. Einige begleiten mich sogar bis Hamburg. Darunter sind auch eine Mutter und ihr Sohn, der die 40 Jahre-Marke optisch schon geknackt hat. Obwohl es bereits mollig warm im Zug ist, kuschelt sich Mutti in eine Decke ein. Wir passieren gerade Bützow, und es kommt zu einer kleinen Diskussion der beiden, ob das hier nun Bützow oder Bautzen ist. Oh ja, die Orte sehen sich aber auch verdammt ähnlich. Dann fallen die Augen zu, und gehen schlagartig wieder auf, als eine Gruppe End-Zwanziger laut grölend sich auf den Sitzen niederlässt. Fahrgäste werden angemacht, und es wird gezeigt, dass man das Programm der gängigen Privaten gut verinnerlicht hat – stets unter der Gürtellinie und noch niedriger im Niveau.

zug

Ja was, wenn das Fußballfans wären? Die Boxen werden herausgeholt, und der Wagen schließlich mit Krachmusik beschallt. Überrascht das noch? Angewiderte Blicke hier und da, aber keiner traut sich, der die Schuhe auf den Sitzen ausruhenden Horde die Meinung zu sagen. Die alltägliche deutsche Mentalität. Plötzlich löst sich die Gruppe auf, da sich der weibliche Teil ein anderes Plätzchen gewählt hat. In Hamburg angekommen gehen die Sozialstudien weiter. Das soll der goldene Westen sein? Hier sieht es aus wie auf dem Katowicer Hauptbahnhof zu seinen schlechtesten Zeiten, nur dass man hier außerdem noch aufpassen muss, wohin man tritt. Dreck, Dreck, Dreck und blutige Taschentücher. Die Obdachlosen reihen sich entlang der Glasfassaden liegend auf dem Boden. Nur noch drei Minuten bis zum erlösenden Bus, der mich zunächst nach Eimsbüttel bringen wird, wo die Falken bei der Reserve des ETV mit 4:2 gewinnen werden. 

Bis zum Wolfgang-Meyer-Sportplatz ist es danach nur ein Katzensprung. Meppen ist Spitzenreiter. Möglichst schnell möchte die Klubführung wieder an die erfolgreichen Zweitligazeiten anknüpfen. Zu lange schon spielen sie in der Bedeutungslosigkeit vor sich hin. Der treue Anhang ist aber immer dabei. Nach einer der weitesten Fahrten haben sich heute 60 Mann im skurrilen Gästeblock hinter der Hecke eingefunden, der komischerweise die beste Sicht auf dem Platz bietet bzw. die Wiese, wie der Stadionsprecher meint. Die Tribüne mit seinem halbrunden Dach steht immer noch. Der eine Teil der Stehränge bekam einen stabilen Zaun – Käfighaltung beim Heimspiel. Die andere Seite ist bei Regionalligaspielen gesperrt. Unter dem Strich ist es ein merkwürdiges Gebilde. Die einen mögen ihn hässlich finden, die anderen vielleicht gar interessant. Sieht man nicht jeden Tag. 

HSV II

Den 460 Zuschauern wird ein schnelles Spiel geboten, dass durch die Emsländer bestimmt wird. Auf der einen Seite sind die Meppener, auf der anderen – ihnen fast gegenüber – ein kleines Grüppchen von aktiven HSV-Fans. Gelegentlich wird mal was gerufen. Ein Stadtwappen und ein Pro-Pyro-Symbol wehen im Wind. Am Zaun hängt auch eine Fahne gegen RB Leipzig. Ausgerechnet. RB in Leipzig oben, Hamburg unten. Was für Zeiten! Aber die Stufen des Meyer-Sportplatzes, günstige Eintrittspreise und altes Liedgut erinnern irgendwie an die Stunden längst vergangener erfolgreicherer Tage. Das „Forza Hamburg hey!“ wirkt wie ein Überbleibsel aus den 90ern mit Spielern wie Karsten Bäron, Valdas Ivanauskas und Hans-Jörg Butt. In der Halbzeitpause spielt der Stadionsprecher neben dem emotionalen und lokalpatriotischen „Mein Hamburg lieb’ ich sehr“ auch ein Lied über Durchhalteparolen in sportlich schlechten Zeiten. Wie passend… Man konnte beim Hamburger SV auch mal Kult-Hit „Wer wird deutscher Meister? H – H – H – HSV!“ hören. 

Freunde des Galgenhumors sind die Hansestädter wohl demnach nicht. Bei den Amateuren – wie der Fanblock sie nennt - bzw. bei der U21 läuft es sportlich auch eher dürftig, aber es ist kein Vergleich zu den Leistungen der Bundesliga-Abteilung. Die jungen Wilden des HSV haben Glück, nur mit 1:3 den Platz verlassen zu dürfen. Trainer Soner Uysal ist vermutlich der bekannteste Name in der Liste. Meppen leistet sich sogar einen verschossenen Elfmeter. Der Gästeblock, der schon seit Beginn eifrig am Unterstützen ist, zieht das Ding durch. Das Programm ist gut durchmischt. Laute Schlachtrufe, was den Leuten neben der Tribüne ein „Oha!“ entlockt, und die typischen melodischen Lieder, die leider häufig zu leise gesungen werden wechseln sich ab. Es klingt negativer als es war. Ganz im Gegenteil. Der Stil war sehr erfrischend. Den Höhepunkt ließen sie sich für die letzten zehn Minuten, in denen sie ein Lied aus den 90ern brachten. „SV Meppen macht Laune, SV Meppen macht Spaß“, genau so geht es. Normalerweise ist das ein Lied zum Schunkeln, doch sie unterlegten es mit einem Klatschrhythmus und sangen mit voller Inbrunst, mit der vollen Glut der Vereinsliebe immer und immer wieder lauter. Warum sich in der Ferne nach komplizierten Melodien umschauen, wenn es auch so einfach und effektvoll geht? SV Meppen macht einfach Laune – mehr Laune als so manche Bahnfahrt.  

Foto: Michael

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
02 November 2016
Spielergebnis:
1:3
Zuschauerzahl:
460
Gästefans
60

Ligen

Inhalt über Liga
Regionalliga

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G
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:-) Danke
M
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Haha, der Micha kann so ein richtiger Stinke-Muffel sein, aber genau das liebe ich an ihm. Er hoppt in die schärfsten Gegenden Polens und rümpft die Nase über Schmuddelecken hierzulande. Er mag es richtig abgefuckt, ist aber andererseits richtig abgeturnt von Dreck und Schmutz und lauten Assis. Es ist mir aber eine echte Freude seine Texte zu lesen. Mehr davon! Frohes Reisen auch weiterhin!
CF
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Super geschrieben. Danke. Gruß aus Meppen
G
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