Es ist für mich kaum auszuhalten, wenn das Oliver-Duo Welke und Kahn vom ZDF wiederholt die vermeintlich "kleinen" Teilnehmer der diesjährigen Europameisterschaft in Frankreich schlecht redet. Jedes Wort der selbsternannten Experten in Bezug auf das Teilnehmerfeld zeigt, sie haben irgendwie die EM noch nicht richtig "gefühlt" oder verstanden und bringen neben den fehlenden Respekt gegenüber den "kleinen" Nationen auch ein wenig Unwissenheit mit: So packt Moderator Oliver Welke beispielsweise die Republik Irland schonmal ganz frech zu Großbritannien. Torwart-Legende Oliver Kahn denkt dagegen an eine EM der "Großen", ganz wie sein ehemaliger Klub (FC Bayern München) sich eine Europaliga nur mit den "Besten" der "Besten" wünscht. Aber das ZDF steht mit seinem Kritteln am neuen EM-Modus nicht alleine, auch ARD und Sat1 und viele andere "Experten" haben sich auf das Teilnehmerfeld förmlich eingeschossen.
EM 2016: Ja liebe Kritiker, die Kleinen sind die Größten - ein Hoch auf die Europameisterschaft mit 24 Teams
Berechtigt? Ist es das was die Kritiker des neuen Modus wollen: Eine Europameisterschaft immer mit den gleichen Mannschaften im Finale, ganz so wie im europäischen und teilweise nationalen Vereinsfußball? Ist das etwa nicht ebenso langweilig? Die vermeintlichen Experten kritteln den "Kleinen" an, dass sie sehr tief stehen und somit das Spiel der "Großen" verderben. Aber muss das nicht so sein? Es ist doch in den Ligen auch so wenn der Außenseiter auf den Rekordmeister trifft. Sollte man das auch regulieren? Und Hand aufs Herz: Den emotionalen Ausraster des isländischen Reporters Guðmundur Benediktsson beim 2:1 Siegtreffer von Island im Spiel gegen Österreich, der das Weiterkommen der Isländer sicherte, verbreiteten die Medien doch auch allzu gerne. Dieser Orgasmus ähnliche virale Kracher eines vermeintlich "Kleinen" wäre doch nie entstanden, wenn der "Kleine" nicht dabei gewesen wäre. Aber woran wird "klein" gemessen? Island qualifizierte sich souverän für die EM (besiegte sogar die Niederlande in Amsterdam mit 1:0) und bringt mehr Stimmung auf die Ränge, als es Fans der deutschen Nationalmannschaft in den letzten Jahren je schafften und wohl schaffen werden. Was für großartige stimmungsvolle Bilder von dieser 10.000 Mann/Frau starken Kurve, oder? Ahu!
10.000, 25.000, 30.000, Iren, Waliser, Isländer, Belgier, Ungarn, Polen, (...). Diese stimmungsvolle Kurven gewürzt mit explodierender Extase nach einem Überraschungssieg (Island, Irland), das ist es doch was die EM eigentlich ausmacht. Oder nicht? Klar ist auch, das Frankreich mit seinen Austragungsorten geografisch perfekter ist, als es die EM vor vier Jahren in Polen und der Ukraine war. Perfekt ist auch das ein vermeintlich "Kleiner" es in das Finale schaffen könnte. Denn während sich die "Großen" auf dem Weg dorthin gegenseitig ausschalten, dürfen die "Kleinen" den Finaleinzug unter sich ausmachen. Aber das liegt nicht wie von den TV-Experten versucht zu kolportieren an den "Außenseitern", sondern unter anderem an Spanien und England, die anders als erwartet "nur" den zweiten Platz in ihrer Gruppe der Vorrunde belegten.
Grandios für den neutralen Zuschauer: Fußballerische Spitzenklasse gepaart mit Emotionalität und Leidenschaft. Das will man sehen und hoffentlich auch noch bei den kommenden Turnieren. Denn eine EM mit 24 Mannschaften bringt einen großen Mehrwert, ebenso der Modus. Während früher die letzten (dritten) Spiele der Vorrunde meistens unwichtige und zu besseren langweiligen "Freundschaftsspielen" verkamen, hatten vor dem letzten Spieltag des aktuellen Turniers (bis auf die Ukraine) 23 Mannschaften die Chancen den Einzug in das Achtelfinale. Klar bitter für die Türkei oder Albanien, aber den Moment als der Schiedsrichter am 22. Juni in Lille das Spiel Italien gegen Irland abpfiff, wird kein irischer Fußballfan so schnell vergessen.
Alle Teilnehmer ob vermeintlich "Klein" oder "Groß" sind eine Bereicherung für eine Europameisterschaft so wie sie jetzt ist. Vielleicht werden die "Kleinen" von den "Großen" rausgeschossen, vielleicht aber auch nicht. Egal was passiert: Jeder kommt auf seine Kosten und bekommt das zu sehen was er möchte von fußballerischer Raffinesse bis zur Fankultur.
Foto: Nordirische Fans beim Spiel gegen Polen (Claude Rapp / cr-fotos.de)
Benutzer-Kommentare
Zum anderen muss man sich mit einem Rechenschieber bewaffnen, um herauszufinden, wer bei welchen Konstellationen weiterkommt und dann gegen wen im Achtelfinale spielt.
Die Frage ist sowieso, ob man bei 54 Mitgliedsverbänden das Starterfeld wirklich auf 24 Mannschaften erhöhen musste.
Und nein, das geht ausdrücklich nicht gegen die (vermeintlich) "Kleinen".