Von Bulldog bis zu den „Hauhools“: Ein Blick in „Fan Treff“ und „15.30“ der 90er Jahre

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SGE„Bengalische Lichter, Rauchbomben in verschiedenen Größen und andere Artikel, die in keiner Fanszene fehlen sollten.“ Mit diesen Worten warb eine Firma aus Bingen im April 1995 für ihre Produkte. Und zwar in der letzten Ausgabe des Heftes „Fan Treff“, das sich anfangs als „Das Sprachorgan für Fans“ und später als „Das Fußballszene-Magazin“ bezeichnete. Wahrlich, der Fußball zu Beginn der 1990er Jahre wurde bereits mehrere Male an dieser Stelle Revue passieren gelassen. Allerdings musste kürzlich wieder in die gute alte Wunderkiste, in der alte Eintrittskarten, Stadionprogramme und Fanhefte liegen, gegriffen werden. Für das aktuelle Buch über den F.C. Hansa Rostock, das im Juni erscheint, musste noch fix ein kurzer Text zum damaligen „Fan Treff“ getippt werden. Fast jeder, der Ende der 1980er und Anfang der 1990r Jahre als Fan in den teils windigen Kurven der Stadien unterwegs war, dürfte irgendwann einen Blick in den „Fan Treff“ geworfen haben. Vor allem bei Auswärtstouren in Zug oder Bus gingen die A4-Hefte durch die Reihen. Ähnlich wie bei heutigen Heften wie „45 Grad“ und „Blickfang Ultrà“ galt damals: Schätzungsweise 3.000 Hefte gingen über den Ladentisch, gelesen hatte die Hefte mindestens die zehnfache Anzahl an Fußballfreunden. Einer kaufte - und dann ging die Druckware reiheum.

LEVFakt ist, beim „Fan Treff“ schieden sich die Geister. Die einen verabscheuten dieses Heft, da es in deren Augen gewaltverherrlichend war. Andere sahen das Heft kritisch, da Geschehnisse nicht immer korrekt wiedergegeben wurden. So wurden zahlreiche Berichte von Augenzeugen verfasst, die ganz klar durch die Vereinsbrille schauten. Wiederum andere liebten dieses Heft und saugten die Berichte, Anzeigen und Grußworte regelrecht auf. Ich in meinem Fall las die Hefte sehr gern. Zum einen zog ich eine gewisse Essenz heraus - schließlich konnte man auch zwischen den Zeilen lesen -, zum anderen studierte ich die abgedruckten Fotos. Zu Zeiten vor dem allgemein verfügbaren Internet waren solche Hefte eine wahre Goldgrube. Mir war sehr wohl klar, dass Bericht XY über die Auseinandersetzungen beim Zweitligaspiel VfB Leipzig vs. TSV 1860 München nicht auf die Goldwaage gelegt werden durfte, doch in Kombination mit den Fotos konnte man sich dennoch ein halbwegs gutes Bild verschaffen. 

PolizeiUnd ja, der „Fan Treff“ war unterhaltsam, konnte einen die lange Auswärtsfahrt vertreiben und zudem sorgte er für reichlich Diskussionsstoff. Gemeinsam mit Kumpels blätterte man durch das Heft und wertete jede Bildunterschrift und jede Kleinanzeige aus. Zum ersten Mal geriet der „Fan Treff“ im August 1992 in meine Hände. Es handelte sich um die Nummer 66, und das Heft kam noch komplett schwarz-weiß daher. Für vier Deutsche Mark bekam man 60 Seiten (inkl. Cover) zu lesen, auf der Rückseite war eine Werbung der eigenen FT-Kollektion zu sehen. Eine Bulldogg-Flagge für 35 DM, ein Bulldog-Halstuch für 12,90 DM, ein Original-Jaquard-Schal für 25 DM oder eine Freundschaftsflagge „1860 & Lautern“ für schlappe 35 DM (ohne Stange). Oha, die Preise hatten sich gewaschen. Für damalige Verhältnisse (eine ermäßigte Stehplatzkarte war im Müngersdorfer Stadion bereits für 5 DM zu haben), war das echt eine Hausnummer. Auf der hinteren Innenseite des Umschlages fiel eine Buchwerbung ins Auge: „Fußball und Gewalt - Die Hooligans“ von Ralf Smolinsky. 170 Seiten mit über 50 Fotos für 29,80 DM. Aus heutiger Sicht zum Schmunzeln lädt der Beschreibungstext ein: „Wahrheitsgemäße Szenenberichte. Kurz: Für Kenner der Szene und solche, die es werden wollen, stellt dieses Buch … mit Texten von englischen Fan-/Hooligan-Liedern (mit deutscher Übersetzung) u.a. ‚You´ll never walk alone‘ ein absolutes Muss dar!“

SchalkeAus heutiger Sicht erschreckend wirken diverse andere Utensilien, die damals per abgedruckter Werbung angeboten wurde. So gab es von der Firma in Bingen am Rhein auch gestickte Abzeichen zu kaufen. Man brauchte nur eine simple Handskizze oder Zeichnung hinschicken - und schon konnte bei einer Mindestabnahme von 50 Stück gestickt werden, was das Zeug hält. Grenzen gab es nicht. Der Zeitgeist war wahrlich noch ein anderer, und mit manchen Symbolen wurde locker flockig umgegangen. Das Emblem der Stuttgarter Kickers, das an den Krallen eines Reichsadlers hängt? „Gott mit uns und wir gegen alle“ mit einem Eisernen Kreuz? Kaum jemand hatte sich vor 25 Jahren über solche Aufnäher aufgeregt. Die Kutten waren voll mit diesen Teilen. Für die Fraktion, die nicht mit Kutten in die Kurven rannte, gab es auf anderen Seiten die passende Werbung. Sweat-Shirts und Kapuzen-Sweater mit der Aufschrift „The Mob Deutschland“, „Bulldog“ oder „Hooligans. Everybody knows us - but nobody knows you“. Was mich damals wunderte, war die Tatsache, dass der Typ in der Werbung eine Porno-Sonnenbrille und einen Oberlippenbart trug. Noch schräger fand ich allerdings die Frisur des gezeichneten Kerls, der Hooligans-Shirts trug und vom Aussehen einer japanischen Manga-Figur ziemlich ähnlich sah. Un ja: Ebenso alles aus der „Bulldog Fashion Kollektion“ des „Fan Treff“. 

KölnDas Fundstück schlechthin in dieser Ausgabe ist ein T-Shirt, das für 29,90 DM zu haben war. „Unterwegs in Sachen Fußball“. Dazu ein Nashorn mit Deutschland-Trikot und riesigen Schuhen. Wer so etwas trug? Keine Ahnung! Die Kölner Jungs aus dem 38er Block ganz gewiss nicht. Aber auch an die ganzen Bulldog-Klamotten kann ich mich nicht recht entsinnen. „Blue System“ und Latzhosen sowie Lederhandschuhe, die in den Hintertaschen steckten, sah man bei der sportlich orientierten Fraktion haufenweise - aber „Bulldog Deutschland“? Knapp drei Jahre später - in der letzten Ausgabe des „Fan Treff“ (Nummer 93) - war diese Art der Werbung auch nicht mehr dermaßen präsent. Die Werbung mit den gestickten Aufnähern gab es nicht mehr, stattdessen trat auf Seite 18 „Pit Bull Germany“ in Erscheinung. In der Kollektion des „Fan Treff“ waren zudem Shirts erhältlich, die massenkompatibler waren. „Dortmund eine Legende - Eine Macht für Deutschland“. „Schalke & Nürnberg - Nichts regiert besser“, „Cologne clever-stark“, „Freiburg - eine Legende. Wir kommen!“ Und ja, das besagte Nashorn fand noch einmal Verwendung. Nun hieß es: „Hamburg. Einer für alle - alle für einen. Unterwegs in Sachen Fußball - Wir kommen!“ Das Hamburger Nashorn trug jedoch weiterhin das deutsche Trikot. Davon ganz abgesehen gab es von diesem Motiv auch eine Frankfurter Version. Hübsch, wenn sich beide bei einem Bundesligaspiel gegenüber standen.

LeipzigUnd die Berichte? Die aus den 1980er Jahren kenne ich persönlich nicht. Was die Ausgabe im August 1992 betraf: Sehr gewaltlastig! Im Prinzip drehte es sich im ganzen Heft nur um Schlägereien. Und genau das war damals bereits der Hauptkritikpunkt. Mit einem „Sprachorgan für Fans“ hatte dieses Heft, das 1986 ins Leben gerufen und in Sandhausen und Mannheim produziert wurde, inzwischen wahrlich herzlich wenig zu tun. „Leipziger treffen gleich auf 1860 Hools“, Prügelorgien in Leipzig“, „“Kölner Hools auf der Prager Straße“, „Finale in Sachsen. Dynamo Dresden - 1. FC Köln“, „Kölner Hooligans verprügelten Bahnpolizisten in Frankfurt“, „EM 92. Bewaffnete Holländer verfolgen die Spur der Deutschen“, „Deutscher Hoolmob bahnt sich seinen Weg“, „F95 - HSV. Düsseldorfer stürmen auf Hamburger“, „Duisburger laufen auf Dortmunder zu“. Ja, ich gebe zu, auch diese Berichte wirkten in gewissem Maße faszinierend. Vor allem, weil das Kopfkino ratterte und man selbst in der einen oder anderen heiklen Situation gesteckt hatte. Ich persönlich wünschte mir indes einen gefächerteren Blick auf die Kurven.

schalkerKein Wunder, dass mir das Heft „Jetzt geht´s los! 15.30 Uhr“ noch mehr zugesagt hatte. Zum Preis von 3 DM erschien bereits im Februar 1992 die Nullnummer. „15.30“ sollte als offizielles Organ des „Deutschen Fanzeitungs-Verbundes (DFZV)“ eine Alternative zum arg krawallorientierten „Fan Treff“ bilden. Und die in Köln und Leverkusen produzierte Nullnummer konnte sich sehen lassen. Unvergessen der Bericht über das EC-Spiel SC Montpellier vs. Manchester United sowie der Bericht über den an die Bochumer Polizei verliehenen „Goldenen Schlagstock“. Ich schätze, dass ich hundertmal diesen Text aufgesaugt hatte. Spannend war auch der Bericht über den 5:2-Sieg des FC Schalke 04 gegen Borussia Dortmund und die Schilderung über die „Situation in der der Bremer Ostkurve“ (damals als einziger Teil des Weserstadions nicht überdacht). Erstaunt war ich über die Schilderungen über das Duell Schalke 04 vs. Hansa Rostock. So hieß es im damaligen Text: „In Anbetracht dieser Ereignisse konnte es mich kaum noch erschüttern, dass ein Ordner plötzlich zwei Hansa-Transparente vom Zaun riss und in den Hool-Block der Schalker warf, wo die Tücher gleich in Flammen aufgingen.“ Weiter hieß es: „Der absolute Negativ-Höhepunkt war schließlich das Verhalten eines Polizisten, den ich um Hilfe für einen arg lädierten Hansa-Fan bat. ‚Leck mich am Arsch!‘, meinte der ungläubig glotzende Typ, den die Randale augenscheinlich völlig kalt ließ …“

ManUVon der ersten bis zur letzten Seite war „15.30“ unfassbar spannend und lesenswert, da die Schilderungen dem tatsächlich Passierten recht nahe kamen. Leider gab es - soweit ich weiß - keine weiteren Ausgaben. An Qualität zugelegt hatte glücklicherweise der „Fan Treff“. Die Ausgabe 93 im April 1995 konnte sich sehen lassen. Jedoch war diese Ausgabe, die bereits einzelne Farbseiten besaß, leider die Letzte. „Aus! … Fan Treff streicht die Segel und wird ersatzlos aus dem Verlagsprogramm gestrichen. Aus die Maus! Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit …“, erklärte der Chefredakteur im Vorwort. Klar, auch die Krawalle kam in dieser Ausgabe nicht zu kurz, doch konnten die Texte qualitativ zulegen. Auch von mir war damals ein ausführlicher Bericht zu lesen. „Pokalfiber im Old Trafford. Manchester United vs. Leeds United“. Mit großer Begeisterung schilderte ich die englische Stimmung, die es damals wahrlich noch gab (wenngleich erste unschöne Tendenzen zu erkennen waren). Gern hätte ich damals punktuell mit beigetragen, das Heft unterhaltsam zu gestalten, doch da es die letzte Ausgabe war, hatte sich dieser Plan erledigt. Schade, denn die Tendenz war wie gesagt erfreulich. Mit „Lagebericht aus Kaiserslautern“, „Groundhopping in Madrid“, „Regionalliga-Report“ und „Höllentour auf Griechisch. PAOK Saloniki vs. AEK Athen“ gab es in Ausgabe 93 gute Texte zu lesen. 

ZUGEin letztes Mal gab es somit die Rubrik „Grüße“. Mit diesen Seiten allein konnte man gemeinsame Stunden im Sonderzug verbringen. Gegenseitiges Heraussuchen und Vorlesen der Grüße sorgten für Erheiterung. So zum Beispiel: „Grüße gehen an alle mir bekannten Psychos HB. Besonders Hansa und Dynamo, die Kollegen der glorreichen BIF HB, sowie an Bianca! Sieg oder Spielabbruch.“, „Grüße aus der SVA Siegburg gehen an alle inhaftierten Kameraden und an meine Essener Freunde!“, „Salve Lüdenscheider! War echt geil beim ASC! Scheiß Stadionverbot! RWL-Hools stark im Kommen! Bis bald, ein Rot-Weißer!“

1995Ein Folge-Heft vom gleichen Macher war recht fix am Start. Mit „match live“ kam ein Magazin in Farbe und Hochglanz auf den Markt. Für 5 DM zu haben bei der Bahnhofsbuchhandlung des Vertrauens. Schnell musste man manchmal sein, um noch eine Ausgabe zu ergattern. Interessant war dieses Heft allemal, und ich wurde zum Stammleser, doch einen echten Kult-Status bekam dieses Magazin nicht. Dafür kam es dann doch zu professionell aufgemacht und aufpoliert daher. Gedruckte Farbfotos von den Fanblöcken in A4 und größer (Doppelseiten) zu sehen, war allerdings zu damaliger Zeit ein Hochgenuss - das soll nicht in Frage gestellt werden.

Anmerkung: Die Namen der Herausgeber der damaligen Hefte wurden bewusst weggelassen.

Fotos: Marco Bertram, Karsten Höft

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in den 90ern

Artikel wurde veröffentlicht am
27 Mai 2016

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2 Kommentare
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Kommentare
Der Ralf S. hat uns beim Pokalhalbfinale Hertha - Dortmund in Berlin begleitet. Hatte leider meine Buchausgabe zum Signieren nicht dabei.?
S
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G
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