F.C. Hansa Rostock vs. 1. FC Union Berlin: Wenn die Familiensause für Adrenalin sorgt

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Freundschaftsspiel zwischen dem F.C. Hansa Rostock und dem 1. FC Union Berlin im Ostseestadion, nachträglich ausgetragen als Jubiläums-Kick anlässlich des 50. Geburtstages. Eigentlich sollte es ein lockerer Bericht mit einem Schmunzeln und einer Portion Wehmut und Herzblut werden, da es das erste echte große Fußballspiel für mein 6-jähriges Söhnchen war. Wie fühlt es sich an, wenn man sein bereits fußballbegeistertes Kind mit auf die lange Reise gen Ostseeküste nimmt? Ohne Frage, ist es ein ganz anderes Gefühl, wenn man quasi 15 Stunden am Stück jede Sekunde ein wachsames Auge wirft. Was hatte ich nicht alles überlegt und eingeplant. Eine kleine Plüschdecke war mit im Rucksack. Für die Rückfahrt gen Berlin, die erst um 20:34 Uhr starten sollte. Und ja, am Ende war es für uns beide eine prima Fußballsause (für den Kleinen sogar ein unvergessliches Erlebnis), doch aufgrund der heutigen Meldungen über die demolierten und übelst verschmutzten Zugwaggons („Eine derart massive Zerstörung hatten wir lange nicht mehr.“ Zitat der Bundespolizei) ließen die Reaktionen im privaten Umfeld nicht lange auf sich warten. „Alter, den Kleinen mit zu Hansa? Und das bei so einem Spiel? Im Zug? Gemeinsam mit TSK & Co.? Und er mittendrin? Armes Kind! …“ Da brauchte ich nicht groß erklären, dass die Polizei bereits am Rostocker Hauptbahnhof dafür gesorgt hatte, dass „normale“ Fahrgäste in einem extra Waggon halbwegs ihre Ruhe hatten und das Söhnchen die meiste Zeit friedlich weggeschlummert hatte. Fakt ist, hat man sein Kind beim Fußball dabei, sind die Antennen penibel ausgerichtet. Mit der Leichtigkeit wie sonst - ganz nach dem Motto: Was soll schon passieren? Man ist ja ein alter Hase - ist es dann vorbei.

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Noch sind bei meinem Sohn nicht die Karten gelegt. Wie das bei Jungen in diesem Alter so ist, übt so manches eine große Faszination aus. Das „Magdeburger Kind“ kann er bereits auswendig, und bei der Live-Übertragung des Landespokal-Finales in Halle war er über das Resultat ernsthaft erbost. Angefangen hatte alles im Alter von zwei Jahren im Sportforum Berlin-Hohenschönhausen und auf dem Sportplatz des SV Tasmania Berlin. Beim Spiel der Tasmanen wollte er sogleich mit auf den Platz rennen. Immer wieder startete er einen neuen Versuch und übte sich als Flitzer mit hoher Beschleunigungskraft. Als später zwei Spiele von Karkonosze Jelenia Góra und das Oberliga-Duell 1. FC Frankfurt vs. F.C. Hansa Rostock II dazu kamen, war das Fußballfiber endgültig ausgebrochen. Von „Dynamo!“ über „Ist denn die Elbe immer noch dieselbe?“ bis zu „Ahu!“ und „Schananana F.C. Hansa!“ wurde nun alles jeden Tag fröhlich geträllert. Der Wunsch, mich einmal nach Magdeburg oder Rostock zu begleiten, bestand bereits seit geraumer Zeit, doch zu Pflichtspielen erklärte ich mich nicht bereit. Zum einen die etwaige Brisanz bei den prickelnden Duellen, zum anderen hatte ich mit Sorgfalt meinen Job zu erledigen.

Als bekannt wurde, dass Hansa gegen die Eisernen antreten würde, stand mein Plan, ihn das erste Mal nach Rostock mitzunehmen. Zwar missfiel mir die recht späte Anstoßzeit, doch hey, da es sich um ein Freundschaftsspiel handelte, dürfte die Rückfahrt recht entspannt werden. Als jedoch bekannt wurde, dass die Union-Fans recht großen Bock auf diese Sause haben, wurde ich hellhörig. Plötzlich hieß es, dass bereits 1.400 Tickets verkauft wurden. Und plötzlich stand auch ein „Alle in Schwarz“ der jüngeren Ultras im Raum. Als dann drei Tage vor dem Termin auch auf Hansa-Seite dazu aufgerufen wurde, entgegen den ersten Plänen die Mannschaft aktiv zu unterstützen, gab es zwei Reaktionen. Ganz klar, versprach es nun fantechnisch keine Nullnummer zu werden. Zum anderen kam mir ein klein wenig die Muffe. Was, wenn auf der Rückfahrt die Waggons überfüllt sind und kein stilles Plätzchen für das Söhnchen vorhanden ist? Was, wenn mich unangenehme Personen blöd von der Seite anquatschen oder der Kleine mal Pipi muss und die Klos verstopft, versifft und vollgekotzt sind?

Ich kann so ziemlich zu jedem brisanten Spiel düsen, ohne dass mir wirklich die Muffe kommt. Doch in diesem Fall wurde das Magengrummeln größer und größer. Die Anspannung ließ erst einmal nach, als auf der Hinfahrt im Regionalexpress zwei Plätze gesichert waren und die Fahrt völlig reibungslos über die Bühne ging. Aber: Gefühlte zehnmal Pipi gehen und gefühlte hundertmal über die Rückenlehne hampeln. Kein Problem, aber auf der Rückfahrt erschien solch ein Szenario nicht allzu wünschenswert. „Papa, wie lange noch?“, „Papa, wie viele Stationen noch?“, „Papa, ist das schon Rostock?“ Kurz vor halb zwei war die Hansestadt erreicht und die vor Ort befindlichen Polizisten siebten schon mal die anreisenden Unioner heraus. Diese zu erkennen, war nicht allzu schwer. Dafür hätte es keine szenekundigen Beamten bedurft. Bevor um 17 Uhr im Ostseestadion das Hauptspiel startete, ging es weiter mit der S-Bahn nach Warnemünde. Schau hier, schau dort! Was steht doch geschrieben? Mein Sohn durfte die blau-weiß-roten Graffiti an Fernwärmerohren und alten Gemäuern lesen. 

Wie der Zufall wollte, fuhr gerade ein Schiff der Marine ein. Heimkehr von großer Reise, an Deck wurde ein Lied abgespielt, und an der Reling stand die Besatzung und schaute auf die Warnow. „Warnemünde, Warnemünde gibt´s nur einmal auf der Welt …“ hallte es rüber zur Mole, auf der die Touristen zum grünen Leuchtturm pilgerten. Rund zwei Stunden später war es das „Hansa forever!“, das bei meinem Sohn, bereits versorgt mit Kinderschal und Ticket, für große Augen sorgte. Die aktiven Hansa-Fans hatten dazu aufgerufen, sich im in der Ecke befindlichen Block 27a einzufinden, um von dort aus wie zu alten Zeiten für einen guten geschlossenen Support zu sorgen. Die eigentliche Südtribüne blieb in der ersten Halbzeit weitgehend leer. Vor der Süd war ein riesiges Banner „Fußballclub Hansa Rostock“ befestigt. Das Geschehen im Block 27a konnte sich - in Anbetracht dessen, dass anfangs dieses Spiel gar nicht supportet werden sollte - sehen und lassen hören. 

An alte Zeiten erinnerte auch der Gästeblock. Hut ab, über 1.500 Unioner hatten sich dort eingefunden. Im Ligaalltag wurde diese Zahl im Ostseestadion zuletzt nur von den Gästen aus Dresden und Magdeburg überboten. Für ein Testspiel eine klasse Hausnummer! An der Plexiglaswand wurde ein altes schwarz-rotes Ultras-Banner befestigt. Jenes war bereits vor der Gründung des Wuhlesyndikats im Stadion An der Försterei zu sehen. Seit wann genau, entzieht sich meiner Kenntnis. Fakt ist, dass es unter anderen beim legendären DFB-Pokal-Spiel gegen den VfL Bochum im Dezember 2000 (1:0 in der 90. Minute) am Zaun der Gegengerade zu sehen war. In Rostock war dieses Banner nun wieder am Start. Passend dazu die überwiegend schwarze Bekleidung der dahinter befindlichen Anhänger und das schwarz-rote Outfit der Union-Spieler.

Im besagten Block 27a ging es in der ersten Halbzeit überaus heiter zu. Das Korsett war nicht so eng gezogen wie bei einem Pflichtspiel. Mit mehr Humor als sonst wurde manch ein alter und neuer Klassiker zum Besten gegeben. So zum Beispiel auch eine geänderte Version von „Sogenannte Fans“ von „Ostmaul“. Als das „50 Jahre FCH… Fußballterror und Randale … wir machen alles kaputt …“ ertönte, huschte manch einem auf der anliegenden Westtribüne ein Lächeln über den Mund. Das lag allerdings auch daran, weil manch ein aktiver oder ehemals aktiver Fan die Gelegenheit nutzte, um bei diesem Spiel einfach mal entspannt das Geschehen von außen zu betrachten.

Zweiter Ohrwurm des Tages wurde das geforderte „Freibier!“. Später wurde aus dem Schlachtruf ein lauter Wechselgesang: „Frei!“ - „Bier!“ Richtig heiter wurde es, als nach etwas über einer Viertelstunde Stefan Wannenwetsch die 1:0-Führung besorgte. Partystimmung bei Hansa. Doch die Antwort der Eisernen ließ nicht lange auf sich warten. Nur drei Minuten später machte Steven Skrzybski den Ausgleich klar. Der Gästemob riss die Arme hoch, ein Böller detonierte im Innenraum. Wirklich gute Stimmung auf beiden Seiten, nach knapp einer halben Stunde fiel fast das 2:1 für Rostock. Mit dem Spielstand von 1:1 ging es schließlich zur Pausenerfrischung.

Mit verändertem Team ging der F.C. Hansa in den zweiten Spielabschnitt. Auf den Rängen konnte nicht an die erste gute Halbzeit angeknüpft werden. Nach Minuten der Ruhe ertönte schließlich ein „Und Ihr wollt unsere Hauptstadt sein?“ Als Antwort schepperte ein „Na wat denn, na wat denn?“ aus dem Gästeblock. Ansonsten blieb es nun bei der bei einem Testspiel üblichen Atmosphäre. Kurzzeitig hitzig wurde es auf der Gegengerade. Dort gerieten ein paar Rostocker und Berliner aneinander. Die Ordner griffen recht beherzt ein, einen Streithahn mussten sie mit erheblicher Gewaltanwendung nach draußen zerren. Ansonsten blieb es aber auf den Rängen friedlich. 

Auf dem Rasen machte Union noch zwei Tore und gewann am Ende die Partie mit 3:1. Fünf Minuten vor Schluss hatte Ziemer das 2:2 auf dem Fuß, doch statt des Ausgleichs gab es wenig später den KO-Schlag der Eisernen. Sicher, wirklich krumm nahm kein Hansa-Fan diese Niederlage, doch ein Remis hätte dem Ganzen besser zu Gesicht gestanden. Während ich noch meinen Blick über das Ostseestadion schweifen ließ, ließ neben mir jemand die Tränen kullern. Mit sechs macht man noch keinen Unterschied zwischen Pflicht- und Freundschaftsspiel. Mein Söhnchen war wirklich betrübt und ließ sich kaum beruhigen. Der Einwand „Na komm, in einer Woche holt Hansa den Pokal. Das zeige ich dir dann am Computer!“ bewirkte dann doch Wunder. Also ab zum Hauptbahnhof und die Wartezeit überbrücken. Da der Zug nach Berlin bereits eine Stunde vor Abfahrt bereitstand, konnte ein Warten zwischen Tür und Angel verhindert werden. Polizei und Zugbegleiterin entschieden, den ersten Waggon den neutralen Reisenden zur Verfügung zu stellen. Im hinteren Bereich konnten die zahlreichen Union-Fans ihr Unwesen treiben.

Und das trieben sie auch, wie sich später herausstellen sollte. Gut, dass wir im ersten Waggon davon nicht allzu viel mitbekamen. Allerdings wurden sämtliche Fahrgäste auf die Probe gestellt, weil aufgrund der ganzen Raucherpausen an den Bahnhöfen der Zug immer mehr Verspätungsminuten sammelte. Als durchgesagt wurde, dass es keine Raucherpausen mehr an den Haltepunkten geben würde, wurde kurz hinter Oranienburg kurzerhand die Notbremse gezogen. Okay, letztendlich war ich froh, einfach nur ohne Stress in Berlin-Gesundbrunnen anzukommen. Das dortige Getümmel war groß genug. Kurz nach dem DFB-Pokalfinale wimmelte es nur so von BVB- und Bayern-Fans. Mit einem Schlag stiegen auch noch hunderte Union-Fans geschlossen aus. Auf einen möglichen Polizei-Empfang am Hauptbahnhof hatte wohl die Eiserne Reisegesellschaft keine Lust. Totmüde - und ja, um einiges mehr erschöpft als bei sonstigen Fußballtouren - erreichte ich mit dem ebenso extrem müden Söhnchen das ersehnte Zuhause. Noch mal mit ihm zum Ostseestadion in absehbarer Zeit? Na, das eher nicht. Belassen wir es lieber bei einer soften Variante: Ein Ausflug zum Oberligaspiel FC Strausberg vs. F.C. Hansa Rostock am letzten Spieltag … ;-)

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: F.C. Hansa Rostock

> zur turus-Fotostrecke: 1. FC Union Berlin

Artikel wurde veröffentlicht am
22 Mai 2016
Spielergebnis:
1:3
Zuschauerzahl:
8.500
Gästefans
1500

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Testspiel

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G
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Dafür dass man anfangs dachte, es würde überhaupt keine Unterstützung geben, war es dann doch noch in Ordnung. Ich verstehe aber, dass alle Welt sich fragt: Warum so wenige Zuschauer?
Aber noch mal angemerkt: Der 50. Geburtstag des F.C. Hansa war Ende Dezember 2015! Die meisten sahen das jetzt als stinknormales Testspiel. Daumen hoch aber für die Unioner. Das muss man erst mal machen. Ich meine jetzt den vollen Gästeblock, nicht die Randale im Zug.

Grit
G
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Toller Artikel !
G
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So dolle war das nicht
Das Spiel bot nun wirklich nicht viele Highlights auf den Rängen. War eher trostlos, was aber vorher schon abzusehen war. Einzige Aufreger waren das zerstörte Zugabteil und ein paar Fischköppe die im Dickicht auf Unioner mit Fanutensilien warteten. Nichts was einem lange in Erinnerung bleibt.
N
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T
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G
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