Blanker Hass prägt das Verhältnis zwischen beiden Seiten. Nun sollte der Begriff „Hass“ nicht bei jedem brisanten Duell überstrapaziert werden, doch beim Wiedersehen zwischen den Himmelblauen aus dem einstigen Karl-Marx-Stadt und den „Jungs aus dem Schacht“ dürfte er nicht übertrieben sein. Bereits im Vorfeld war immer wieder zu hören, wie abgrundtief man die andere Seite hassen und wie hitzig es werden würde. Ein mögliches Stadionverbot oder Stress mit den staatlichen Organen? Manch einer würde dies in Kauf nehmen, denn es gehe schließlich gegen den verhassten Erzfeind. So wunderte es nicht, dass es am Spieltag vor dem eigentlichen Duell im Stadion bereits zum ersten Mal krachte. Ein von oben aufgenommenes Video kursiert im Netz und nicht sämtliche Details gehören an die Öffentlichkeit. Rund 60 in schwarz gekleidete Anhänger aus Aue erwischten die Chemnitzer auf dem falschen Fuß, indem sie bereits gegen 9 Uhr eine als Treffpunkt dienende Lokalität in der Zietenstraße angriffen.
Chemnitzer FC vs. FC Erzgebirge Aue: Ikarus-Choreographie und Auseinandersetzungen
HotBei der Anreise des Hauptmobs kam es immer wieder zu Rangeleien zwischen Chemnitzern und Auern, dabei wurde ein Fan aus Aue in der Nähe einer Tankstelle verletzt. Hektisch wurde es auch am Einlass des Gästeblocks. Hierbei kam es von Seiten der Polizei zum Einsatz von Pfefferspray, nachdem versucht wurde, sich ins Stadion zu drücken. Etliche Fußballfans mussten daraufhin von Sanitätern versorgt werden.
Auf Heimseite wurde vor dem Anpfiff eine große Choreo präsentiert. Im linken Tribünenabschnitt war ein Labyrinth zu sehen, an dessen Ende sich zwei Wegweiser „2. Liga und 3. Liga“ befanden. Dazu gab es ein Fischerwiese-Amphie-Theater mit dem kleinen, aber feinen Hinweis „Fischerwiese 1934“ (von 1933 bis 1934 erbaut), abgebildet auf einer Landschaft mit Wüste, Bäumen, Bergen und Klippen. Auf dem Mittelteil der Chemnitzer Choreo flog die griechische Sagenfigur Ikarus im Schachttrikot über den Ozean. Hierbei wurde das Wasser mit dunkelblauen und der Himmel mit hellblauen Fahnen dargestellt. Der Ikarus mit dem lilafarbenen Trikot stieg wie in der griechischen Sage höher und höher und verbrannte sich an der FCK-Sonne die Flügel. Genauer gesagt schmolz der Wachs, der die künstlich befestigten Federn am Körper hielt, und die Flügel lösten sich (bei der Choreo wurden diese ebenfalls abgerissen).
Die griechische Erzählung besagt, dass Vater Dädalus seinem Sohn Ikarus, die als Strafe von König Minos im Labyrinth des Minotaurus auf Kreta gefangengehalten wurden, einschärfte, nicht zu tief über dem Wasser, aber auch nicht zu dicht an die Sonne zu fliegen. Ikarus wurde aber, nachdem der erste Streckenabschluss problemlos absolviert wurde, übermütig und stieg höher und höher - bis die Sonne das Wachs zum Schmelzen brachte und die Flügel sich lösten. Ikarus fiel ins Meer, nach ihm wurde die Insel Ikaria genannt.
Im übertragenen Sinne bedeutet dies: Steige nicht zu hoch, werde nicht übermütig, ansonsten erfolgt der tiefe Fall. Diese Botschaft wollte die Chemnitzer Anhängerschaft den Aue-Fans mit auf den Weg geben. Im rechten Choreo-Teil stieg, nachdem dort anfangs nur schwarze Zettel hochgehalten wurden, der Chemnitzer Fußballgott Anton Fink aus der Hölle empor - im entsprechenden Gewand und mit einer Grubenlampe in der Hand. Das Ganze wurde von einem großen Spruchband am Zaun untermalt: „Flieg´ nicht so hoch, mein kleiner Freund.“ Aus „Freund“ wurde im weiteren Ablauf „Feind“. Passend dazu gab es das Lied von der Schlagersängerin Nicole (1981 veröffentlicht). Neutral betrachtet kann man nur sagen: Eine geniale Idee einer Choreo.
Weniger genial war indes aus Sicht der Heimfans der Einsatz der eigenen Mannschaft. Und dabei fing alles recht gut an. Bereits in der achten Minute klingelte es im Gehäuse der Veilchen. Kein Geringerer als Anton Fink wurde von Türpitz auf die Reise geschickt. Dieser ließ Aue-Keeper Männel keine Chance. 1:0 für den Chemnitzer FC. Das Stadion an der Gellertstraße, dessen Haupttribüne langsam Strukturen bekommt, aber noch nicht fertig ist (12.300 Zuschauer passten beim Derby hinein), stand Kopf. Brachialer Jubel auf den Rängen, lange Gesichter im Gästeblock. Längst war aber nicht aller Tage Abend. Aue war nicht gelähmt, sondern setzte sogleich zu aggressiven Angriffen an. Bereits fünf Minuten nach dem frühen Rückstand hatte Adler den Ausgleich auf den Fuß. In der 15. Minute hätte Fink indes zum 2:0 nachlegen können.
Die Partie blieb spannend, Aue blieb konsequent dran. Mit Erfolg. Noch vor der Pause konnte die brisante Partie gedreht werden. Nach perfekter Hereingabe von Skarlatidis wuchtete Wegner das Spielgerät in das Chemnitzer Gehäuse. Kollektives freudiges Durchdrehen im Gästebereich. Der Adrenalinpegel war noch immer auf Anschlag, als es bereits zwei Minuten später 2:1 für Aue stand. Adler hatte ebenfalls den Ball mit dem Kopf untergebracht. Kurz nach der Pause sogar fast das 3:1 der Gäste, doch CFC-Keeper Kunz verhinderte dieses.
Chemnitz mühte sich, Aue versuchte die sich ergebenden großen Räume zu nutzen. Ein weiterer Treffer wollte an diesem Nachmittag nicht mehr fallen. Während im Gästeblock die Fans ganzen körperlichen Einsatz zeigten, zwei Frauen standen nur im BH singend am Wellenbrecher, staute sich auf Heimseite immer mehr die Wut auf. Nachdem ein Böller detoniert war, gab es auf Chemnitzer Seite kein Halten mehr. Einige Chemnitzer wollten ran an den Feind. Bierbecher flogen, die Ordner hatten einiges zu tun.
Und auch nach dem Abpfiff blieb es hitzig. In der Hainstraße und Palmstraße kam es zum direkten Schlagabtausch. Rund 200 Personen waren an den Tumulten beteiligt. Wut und Hass bekamen auch die polizeilichen Einsatzkräfte zu spüren. Einige Beamte wurden leicht verletzt, Polizeifahrzeuge wurden beschädigt. Im Gegenzug wurde etliche Strafanzeigen aufgenommen. Was bleibt? Ein Hochgefühl im Lößnitztal und unsagbare Enttäuschung auf der Fischerwiese. Der lilafarbene Ikarus mag an diesem Tag gefährlich hochgeflogen sein, aber er hatte sich nicht die Flügel verbrannt. Auf das Rückspiel in Aue darf man nun mächtig gespannt sein…
Fotos: Marcus Hengst
Ligen
Benutzer-Kommentare
Wenn man sich die allgemeine geistige Verfassung der Gesellschaft anschaut, kann es wirklich not tun, dem Leser auch die simpelsten Dinge zu erklären. Aber schön, dass du alles weißt. :-)
VG Joachim