„Das Besteigen des Zauns wird im Rahmen fantypischer Reaktionen vorübergehend geduldet, mit der Maßgabe diesen anschließend wieder zu verlassen.“, war in den Hinweisen für das Freitagabendspiel im Stadion An der Alten Försterei zu lesen. Und diese Freiheit wussten die angereisten Anhänger aus Leipzig zu nutzen. Als Parensen in der 83. Minute das Spielgerät ins eigene Tor lenkte, flogen im Gästeblock die Bierbecher und die Zaunkrone wurde geentert. Entspannte Ordner schauten, dass das Ganze nicht Überhand nimmt. Der gleiche Anblick nach Abpfiff, als dort das Remis gefeiert wurde. Ob es in der Leipziger Red Bull Arena im Gästebereich auch solch entspannte Ordner gibt, welche die oben angesprochenen fantypischen Reaktionen in Seelenruhe beobachten und mit Bedacht und Vorsicht agieren und reagieren? Das darf stark bezweifelt werden! Beim 1. FC Union Berlin ist man seit Jahren bemüht, dass sich auch Gästefans wie zu Hause fühlen. Klar ist jedoch, dass dies bei brisanten Spielen in der Vergangenheit auch nicht immer funktionieren konnte.
1. FC Union Berlin vs. RasenBallsport Leipzig: Ein Fußballspiel dauert nun mal 90 Minuten...
HotDie große Frage lautet indes: Wie agiert man als Verein, wenn RasenBallsport Leipzig zu Gast ist? Den vom Red Bull Konzern aufgebauten Verein behandeln wie jeden anderen, weil es unter dem Strich vor allem um das Fußballspiel auf dem grünen Rasen geht? Das Logo auf den Programmheften weglassen, wie es der FC St. Pauli in der letzten Saison tat? Einfach nur „Leipzig“ statt „RasenBallsport Leipzig“?! Fakt ist, dass die Möglichkeiten begrenzt sind, weil DFB und DFL ganz klar die Grenzen abstecken. Mehr Möglichkeiten haben indes die Fanszenen. Zwischen totalem Boykott und lautstarker massiver Kritik gibt es eine ganze Bandbreite an Varianten, wie mit dem - ja, nennen wir es einfach mal Geschäftsmodell - umgegangen wird.
Bei den Eisernen wiederholte man am gestrigen Abend die in der vergangenen Saison gut bewährte Variante: Die ersten 15 Minuten blieb es still auf den Rängen und sämtliche Banner und Zaunfahnen waren sorgsam zusammengerollt. Zu Beginn wurde auf der Waldseite das Ganze Weiß auf Schwarz sehr gut auf den Punkt gebracht: „Das höchste Gut der Fans ist die Mitbestimmung!“ Wie diese konkret aussehen kann wurde oberhalb der unten am Zaun befestigten Botschaft im Detail erklärt: Gewollte Mitsprache, Fans in Vereinsgremien, Stadionteilhabe, Fan- und Mitgliederabteilung, kreativen Spielraum lassen, Publikationsfreiheit, Mitgliederversammlung und Kommunikation auf Augenhöhe. Tja, ist dies bei RasenBallsport Leipzig gegeben? Wohl kaum. Wem es jedoch genügt, einfach nur dem Geschehen auf dem Rasen zuzuschauen (und sich daran erfreuen kann, dass ein einziger eingekaufter Spieler in der 2. Bundesliga jeglichen finanziellen Rahmen sprengt) und zu konsumieren, der wird in Leipzig kein Problem haben.
Nachdem eine Viertelstunde gespielt war, begann auf den Rängen das Brodeln. Die Banner und Zaunfahnen wurden ausgerollt, der Supportpegel stieg an und auf der Waldseite gab es nun eine weitere Botschaft zu lesen. Dieses Mal Weiß auf Rot: „Ein berauschender Abend durch Adrenalin, statt künstlich geschaffen mittels Taurin!“ Prima auf den Punkt gebracht, kann in der Form unterschrieben werden! Und genau jenes Adrenalin wurde bei den Eisernen ausgeschüttet, nachdem in der 25. Minute Brandy mit dem Kopf mustergültig zum 1:0 einlochte. Das konnte sich sehen lassen. Schönheim brachte einen Freistoß rein, Parensen legte den Ball mit dem Kopf vor und Brandy vollendete ebenfalls mit dem Kopf. 1a die Abwehr der Leipziger ausgehebelt. Ein Treffer wie aus dem Bilderbuch, oder besser gesagt wie aus einem Lehrfilm.
Dass nun die Alte Försterei kochte, dürfte klar sein. Die rund 1.500 angereisten Anhänger aus der Messestadt hatten nun wenig entgegenzusetzen. Ob sich beim Blick in den Gästeblock ein bestimmtes Bild ergab? Ein bestimmter Menschenschlag, der dieses Millionenkonstrukt unterstützt? Schwer zu sagen. Manches wirkte in der Tat sehr clean, manches wirkte dagegen überaus skurril. Ein älterer Fan mit Hörnern auf dem Kopf. Ein Mann, der sich diabolisch das Gesicht bemalt hatte. Ein Papa mit dem mit Ohrenschützer bestücktem Söhnchen auf dem Arm. Frauen im mittleren Alter, die 0815-Schals aus dem Red-Bull-Shop gekauft hatten. Mit dabei auch jugendliche Anhänger mit Seidenschals, die fantypisch agierten. Allerdings fehlte anscheinend die kernige Fraktion, die vor einem Jahr beim Auftritt in Berlin-Köpenick für etwas Erstaunen gesorgt hatte. Schwarze Kleidung, das Messe-M auf der Brust, recht forsch und selbstbewusst agierend. Es wäre interessant zu wissen, ob man diese Jungs ein wenig in die Schranken verwiesen hatte.
Zurück zum Geschehen auf dem Rasen. Es schnupperte nach einem Sieg der Köpenicker. Ganz klar war RasenBallsport technisch besser und hatte in der ersten Halbzeit einen Ballbesitz von rund 70 Prozent. Die höhere spielerische Klasse der Einzelnen war erkennbar, doch Union konnte gut gegenhalten und schien besser sortiert als bei den Partien zuvor. Mit Kampf, Einsatz und Wille hätte das 1:0 durchaus über die Zeit gebracht werden können. Der FC St. Pauli hatte es schließlich in der Woche zuvor gezeigt, wie es funktionieren kann. Den „Roten Bullen“ einfach mal den Zahn ziehen.
Allerdings gibt es beim 1. FC Union derzeit ein Problem. Es wurde noch nicht verinnerlicht, dass ein Fußballspiel nicht 70 oder 80, sondern 90 Minuten dauert. Wieder einmal wurde in der Schlussphase der mögliche Sieg verspielt. Beim Pokalspiel bei Viktoria Köln wurde die 1:0-Führung leichtfertig verspielt. Am Ende stand es 1:2. Am ersten Spieltag musste gegen Fortuna Düsseldorf nach früher Führung durch Kessel in der 88. Minute noch das 1:1 hingenommen werden. Noch bitterer in Sandhausen: In der 71. Minute hatte Kreilach das 3:2 für Union erzielt, in der 80. und 85. Spielminute machte Sandhausen noch zwei Buden und konnte mit 4:3 gewinnen. Gegen den 1. FC Kaiserslautern wieder ein später Gegentreffer. Nachdem Wood in der 72. Minute das 2:1 schoss, wurde drei Minuten vor Ablauf der regulären Spielzeit noch das 2:2 kassiert.
Beim TSV 1860 München blieb es torlos, gegen RasenBallsport Leipzig war es jedoch wieder soweit. In der 83. Minute fälschte Parensen einen Flanke von Kalmar unglücklich ab. Der Ball landete im eigenen Netz. 1:1 - ein Ergebnis, das bis zum Ende bestand hatte. Hätte man im Vorfeld der Partie die Fans gefragt, ob ein Remis gegen Leipzig in Ordnung wäre, hätten viele gesagt: Okay, ja, einen Punkt gegen diese spielstarke Mannschaft nehmen wir mit. Besser als nichts. So aber überwog die Enttäuschung. Fast hätte es gegen RasenBallsport wieder den ersten Saisonsieg gegeben, aber eben nur fast. Enttäuschung beim Heimpublikum, im Gästeblock durften die Leipziger ungewohnte Freiheiten ausleben und ungestört fantypische Reaktionen zeigen. In der Alten Försterei ticken halt die Uhren anders als in der Leipziger Red Bull Arena …
Fotos: Marco Bertram
Ligen
Benutzer-Kommentare
Niemand sehen...aha...darum die ganzen Montagsspiele:-)
Buttersäure? Wohl eher nicht. Ich vermute eher Desinfizierungsmittel gegen Maul- und Klauenseuche. Ist nicht mit zu spaßen.