Der Sport Bild auf die Finger geschaut: Bedrohen die Ultras unsere Bundesliga?

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BVBEs war einmal in den 90ern, als ich jede Ausgabe der Sport Bild regelrecht auffraß. Das Geschriebene aufsaugte. Wer wird wohin wechseln? Welcher Spieler fordert wieder einmal eine Gehaltserhöhung? Welcher Trainer zickt wieder einmal rum? Als jedoch die ersten Berichte über die aufkommenden Ultrà-Gruppierungen erschienen, wurde ich skeptisch. Die Kluft zwischen dem, was ich wöchentlich mit eigenen Augen in den Fankurven beobachten konnte und dem, was in diversen Zeitungen und Zeitschriften geschrieben wurde, wuchs immer mehr an. Zugegeben, seit über zehn Jahren hatte ich keine Sport Bild mehr in der Hand. Vorhin in einem Geschäft an einem Berliner S-Bahnhof weckte dann doch ein Aufmacherfoto der aktuellen Ausgabe mein Interesse. Ich meine nicht das große Portrait des Bayern-Trainers („So eiskalt ist Pep“), sondern links in der Spalte das kleine Pyro-Foto mit der drunter stehenden Überschrift: „Wie die Ultras unsere Bundesliga bedrohen“. Hingelegt die 1,80 Euro und gegriffen die selbsternannte „Europas Nummer 1“. 

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Und ja, ich habe einiges erwartet. Aber nicht das! Seite 40 aufgeschlagen und - ja - die Hände über den Kopf zusammengeschlagen! Wie sollte es anders sein?! Als Hintergrund eine Pyro-Aufnahme. Macht sich immer gut, ist halt ein Hingucker. Maskierte Ultras, die Bengalos schwenken. Weckt das Interesse und ist gut für die Quote. So weit, so gut. Jetzt kommt´s! Die Überschrift! „Terror aus der Kurve“. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Terror!!! Und das zu Zeiten, in denen weltweit der „echte“ Terror allgegenwärtig ist. Meine Fresse, geht´s noch? Mit solch einem Begriff spielt man doch nicht! Da werden in Nigeria, in Syrien und im Irak wehrlose Menschen massakriert, geköpft, erschlagen - und im Zusammenhang mit Ultras wird solch ein Begriff in die fette Überschrift gesetzt. 

Na ja, werden Leute sagen, „Terror“ ist ja nicht nur körperliche Gewalt. „Terror“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Schrecken“. Und ein gewisses Maß an Schrecken können gewalttätige oder gewaltbereite Fußballfans durchaus verbreiten. Also halten wir uns mal nicht an diesem Wort fest, sondern schauen uns die Sache mal näher an. „Ultra-Angst“ steht oben rechts in der Ecke geschrieben. Dazu ein gezeichneter Ultrà mit erhobener Faust. In der linken Seite ist bereits das Fazit des Ganzen zu lesen: „Randalierer ruck, zuck in den Knast“, wird vom Chefreporter gefordert. Bereits jetzt schwellen die Adern im Halsbereich an. Von sachlicher Berichterstattung - keine Spur. Aufmachung, Überschriften und Fotos genügen bereits. Auf der Doppelseite 44/45 ist oben ein Foto zu sehen. Schalker Fans mit Trikots und Schals (wohl eher selten die Bekleidung der Ultras) stehen hinter Polizisten und senden lächelnd Grüße an den Gegner, der sicherlich hinter dem Fotografen steht. Hände werden erhoben, einer zeigt zwei Stinkefinger. Die Bildunterschrift: „Provokation pur: Schalker Ultras verhöhnen Polizisten, zeigen ihnen grinsend den Stinkefinger“. Das Einzige was ich sehe: Einer der Personen im Trikot schaut scheinbar direkt in die Linse der Kamera (Augen sind mit einem schwarzen Balken verdeckt) und zeigt ziemlich sicher dem Fotografen dieser Aufnahme den Stinkefinger. Wer möchte schließlich frontal fotografiert werden? Die anderen fünf Personen auf dem Foto stehen indes lächelnd herum und heben locker die Hand.

VfBSoll man da noch weiterlesen? Auch wenn ich als Person, die seit nun mehr 25 Jahren beim Fußball auf Achse ist und den Fußball mit all seinen Facetten so ziemlich aus dem Effeff kennt, bereits beim Blättern das Gruseln kriege. Meine Güte, wie oft wurde in all den letzten 20 Jahren mit Fotos von schmucken Choreos in deutschen Fußballstadien und zum größtenteils friedvollen Aktionen der Ultras Quote gemacht? Und jetzt wieder einmal zurück auf Anfang, Polemik-Keule raus und einfach mal draufgehauen. Terror, Ultras, Angst, Bedrohung, Knast. Dem Sitzplatz-Zuschauer auf der Haupttribüne wird somit wieder ins Gewissen geredet. Nein, die Fankurve ist nix, was hübsch anzusehen ist, sie ist vielmehr die Bruthöhle des Terrors. Das Epizentrum der Gewalt. In Hannover wird man sich freuen. Dort ist man die Kurven-Terroristen los. Dass dort jetzt andere „Gruppen“ gesucht werden, die Stimmung entfachen, wurde ja bereits von uns vor Kurzem beschrieben. 

Liest man den Text „Terror aus der Kurve“ durch, ist man fast überrascht. Der Grund: Neues ist nicht wirklich zu lesen. Es wird aufgezählt, wo es in letzter Zeit gekracht hatte. Eintracht Frankfurt beim 1. FC Köln, Hertha BSC gemeinsam mit befreundeten Karlsruhern zu Gast beim abstiegsbedrohten VfB Stuttgart. Die Zwischenfälle sind keinesfalls schönzureden, doch von „neuer Gewalt“ kann nicht wirklich gesprochen werden. Das hatten wir ja bereits 2012 und auch in all den Jahren zuvor. Für Aufsehen sorgte wohl ein schriftlich festgehaltener Leifaden der „Hugos“ des FC Schalke 04, der wohl der BILD in die Hände kam. In diesem Kodex ist zu lesen, dass die Verteidigung der Fan-Utensilien das höchste Gut sei. Aber wen soll das jetzt überraschen? Dass Materialverlust im Falle eines Angriffs mit körperlicher Gewalt verhindert wird? Wer lässt sich schon gern was wegnehmen? Und vor allem, was einem wirklich am Herzen liegt? Bereits vor 30 Jahren gab es auf gut Deutsch gesagt aufs Maul, wenn du einer „Kutte“ einen Schal ziehen wolltest. Überfalle ich jemanden - egal, in welcher Situation -, muss ich damit rechnen, dass sich derjenige mit allen Mitteln wehren könnte. Was soll daran erstaunlich sein? 

Nächster Punkt: Die „neue Lage“ zwischen Polizei und Ultras. Da könnte sogar was dran sein. Der Grund: Der Grad der Gereiztheit wuchs in den letzten Jahren. Mehr Repressionen, größerer Druck von Seiten der Vereine und Medien. Die Situation mitunter ausbaden muss die polizeiliche Einsatzkraft vor Ort an der Nahtstelle. Sei wie es sei, im orange unterlegten Artikel ist nicht wirklich Neues zu finden. Im Vergleich zur argen Überschrift gestaltet sich der Bericht sogar eher harmlos. Man ist fast beruhigt, dass keine reine Hetze betrieben wird. Kurz und trocken kommt der letzte Satz daher: „Gar keine Ultras ist also auch keine Lösung?“ Bezug nimmt diese Frage auf die zuvor geschilderte Situation bei Hannover 96. Das dortige Problem: Keine Stimmung im Stadion. Und die beim Fußball üblichen Suff-Pöbeleien im Umfeld des Stadions wird es ganz gewiss trotzdem geben.

Der nächste Bericht mit dem bereits erwähnten Aufmacher-Foto mit den Schalker Fans hat folgende Überschrift „Der Polizist steht mit einem Bein im Knast“. Links daneben ist eine Spalte mit ein paar Aussagen von Rainer Wendt (Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft), die wir an dieser Stelle mal übergehen wollen. Also ran an den zweiten Hintergrund-Artikel zum Thema der Woche. Zur Wort kommt ein Einsatzleiter der Polizei, der anonym bleiben möchte. Gesprochen wird von hoch aggressiven, alkoholisierten und zum Teil mit Drogen vollgedröhnten Ultras, die nicht mit der Polizei sprechen und diese auch komplett ignorieren. Manch ein Familienvater am Frühstückstisch wird beim Lesen dieser Zeilen tief durchatmen, noch einen Schluck Kaffee hinterkippen und nun nochmals überlegen, ob sein 14-jähriges Bübchen am kommenden Wochenende zu den Jungs in die Kurve darf. Genauso wie die Mutter des Hauses überlegt, ob das Kind als Austauschschüler nach Belo Horizonte darf, weil sie ja in einschlägigen Zeitungen gelesen hatte, dass dort in Brasilien alles so schlimm sei und bereits der Gang zum nächsten Feijoada-Restaurant mit einer Kugel aus der Knarre eines vollgekoksten Favela-Bewohners enden könnte.

Schalke 04Lesen wir weiter, was weiß auf schwarz im Artikel zu lesen ist. „Wir werden getreten und geschlagen, es kommt daher vor, dass wir zur Selbstverteidigung Pfefferspray oder Schlagstöcke einsetzen müssen …“, wird der anonyme Einsatzleiter zitiert. Nun kann zumindest in einem Punkt der beunruhigte Stadionbesucher auf den Sitzplatzrängen entspannt durchatmen. Die martialisch erscheinenden Polizeieinsätze in den Fankurven in Hannover, Hamburg und Gelsenkirchen waren also nur reine Selbstverteidigung, die eben mal vorkommt. Was soll man sagen? Es ist wie erwartet. In den Hintergrund-Berichten wurde wieder nur die eine Seite beleuchtet. Es würde auch wundern, wenn es anders wäre. Unter dem Strich erfolgte keine Hetze gegen die Ultras, wie es die Überschriften vermuten lassen könnten, aber eben wurden auch nicht die Ursachen etwaiger Zwischenfälle analysiert. Unter dem Strich steht jedoch der Ultrà in der Kurve in den Augen der Millionen Leser wieder einmal als angsteinflößendes Monstrum dar, das man lieber erst gar nicht im Stadion haben möchte.

Um das zu unterstreichen mussten mal eben wieder die Ultras in Italien herangezogen werden. Zu dem kurzen Bericht „In Italien erpressen die Ultras Spieler und Klubs“ muss man keine Worte verlieren. Es wurden ein paar Sachen herausgepickt - fertig ist der Salat. Als Aufmacher-Bild das weltberühmte Moped, das einst vom Oberrang heruntergeworfen wurde. Was die italienischen Fanszenen in all den letzten Jahren für derbe Repressalien erleiden mussten - darüber wurde selbstverständlich kein Wort verloren. Gut und Böse. Und das Böse ist in den Augen der Mainstream-Medien ganz klar der Ultrà. Maskiert, zugedröhnt und gewalttätig. Die lodernde Fackeln in der Hand. Dass es in deutschen Stadien dermaßen viele Ultrà-Gruppierungen gibt, die keine Probleme machen, ist auch völlig wurscht. Wünschen wir uns doch alle landesweit Verhältnisse wie bei Hannover 96. Dann sind Vereine und Innenministerien glücklich. Aber halt! Null Stimmung ist ja schlecht fürs Geschäft bzw. die Vermarktung. Und reißerische Aufmacher gibt es dann auch nicht mehr für die Tageszeitungen und Zeitschriften von Rostock bis Freiburg - und mit denen lässt sich bekanntlich prima Quote machen …

Update, 12. März 2015, 22:30 Uhr:

Fotos: Lukas Lindemann, Marco Bertram, Karsten H.

> zu den turus-Fotostrecken: Fußball, Ultras, Fankultur

Artikel wurde veröffentlicht am
11 März 2015

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G
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Verdammt geil geschrieben!!!!
O
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Falsch interpretiertes Foto!!!
Zu dem Foto mit den angeblichen ULTRAS die in Richtung Polizei die Hand heben und den Mittelfinger zeigen ... Ich kenne diese Personen, es sind definitiv KEINE ULTRAS, es sind Schalker aus einem ganz normalen S04 Fanclub die keiner Gruppierung angehören. Das Foto ist geschickt gemacht. Im Vordergrund sieht man Polizisten und hinten die aufgebrachten Fans die erbost gestikulieren. Was man nicht sieht: Auf der anderen Seite der Kamera waren "Dortmund Fans" die lautstark provoziert haben. Die erbosten Schalker richteten Ihren Unmut nicht an die Polizei, wie man ja denken sollte, sondern an die DO-Fans!!! Das beide Fanlager sich nicht freundschaftlich in den Armen liegen dürfte jedem klar sein. Es ist aber eine absolute Frechheit, so ein Foto zu nutzen, um die Gewaltbereitschaft der Fans gegen die Polizei darzustellen. Und fraglich ist auch, ob dieser Balken vor den Augen wirklich ausreicht um die Anonymität der abgelichteten Fans zu wahren. Ich habe jede einzelne Person erkannt die auf dem Foto zu sehen ist. Einer der Betroffenen Personen hat jetzt Ärger mit seinem Arbeitgeber, weil er dieses Foto mit dem entsprechenden Untertitel gesehen hat.
G
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Sehr guter Kommentar. Dem ist nichts hinzuzufügen!
G
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G
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traurig...
...aber viele leser dieses blattes sind halt blöd genug, den sermon zu glauben, machen sich ins hemd und tragen mit schlauen kommentaren noch zur vervielfältigung bei.
G
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Zurück auf Anfang. Alte Leier, alte Phrasen. Und noch immer gibt es genug Leute die sich verblöden lassen.
B
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