Über Fanprobleme in Polens Süd-Osten und wie man sie löst

M 01 Oktober 2014
Über Fanprobleme in Polens Süd-Osten und wie man sie löst

PolskaUngläubig sieht mich der Fahrkartenverkäufer an, nachdem ich meinen Reservierungswunsch nach Tarnow (Kleinpolen) äußerte und er fragt: „Wohin?“. Die Bestätigung folgt auf dem Fuß gefolgt von der erneuten Nachfrage, ob ich mich nicht irre und Krakow meine. Entweder wollte er mich zum Krakauer Derby lotsen oder den Irrtum eines Touristen aufklären. „Jawohl, nach Tarnow soll es gehen!“, mein ausdrücklicher Wunsch. Nach mehreren Anfällen der Vergesslichkeit, was in den Sommermonaten eine anstrengende Fahrt bedeutet, wurde nun die erste Klasse gewählt. Nach der Einführung der Reservierungspflicht hängen jetzt auch nicht mehr so viele Waggons an der Lok, was in den Kabinen für eine mollig warme Reise sorgt, da sich Freitag immer viele Leute auf den Weg machen.

TarnoviaDie erste Klasse ist dagegen fast leer. Einen halben Tag dösen, schlafen, lesen – ein Blick aus dem Fenster und da läuft doch tatsächlich eine ältere Frau die Schienen entlang. Dann lädt ein Regenschauer nach Tarnow ein. Der erste Gang führt dann zum Stadion von Tarnovia. Der Eingangsbereich scheint schon eine Weile nicht mehr benutzt worden zu sein und so ist es auch. Am letzten Spieltag der vergangenen Saison trafen hier Tarnovia und Wissa Szczucin aufeinander. Mit Spielbeginn gab es eine größere Auseinandersetzung zwischen Fans von Unia Tarnow und Tarnovia, welche eine große Unterstützung durch Fans von Cracovia Krakow hatten. Der Schiedsrichter hatte keine Nerven und brach sofort ab. 70 Fans wurden gefasst. Daraufhin entschied man, in der ersten Runde komplett auf Zuschauer zu verzichten. Natürlich ist diese Sache auch noch im September Thema und ein Rentner wettert, dass 70 Fans auch je 100 Zloty hätten bezahlen können. Die Spieler regen sich auch auf: „Alles nur wegen dieser Mädels aus Moscice!“, meint einer der Akteure.

TarnoviaMit Moscice bezeichnet er Unia Tarnow, da der andere Verein aus diesem Ortsteil Tarnows kommt. Fünfzehn Leute haben es trotzdem unter das alte Tribünendach geschafft. Jeder erzählt nun seine Geschichte, wie er seine Legitimation erhielt. Der Gast aus Koszyce Male tut sich schwer gegen Tarnovia. Das Spiel ist schnell und spannend. Es macht Spaß bei diesem Landesliga-Spiel Augenzeuge zu sein. Erst mit dem Schlusspfiff siegt der Gast aus dem Vorort Tarnows (2:1). Schade - das Spiel hätte Zuschauer verdient und das Stadion wieder Fußball in einer höheren Liga. Das sich direkt am Bahnhof gebaute Stadion ist ein Stück polnischer Fußballgeschichte und ein Muss für jeden an Ost-Europa interessierten Stadionsammler. An den Stufen der Gegengerade nagt zwar schon der Zahn der Zeit, aber wirkt sie doch wie die liebevoll rot und weiß gestaltete Tribüne sehr gepflegt. 1948 konnte man hier in einer Saison die Luft der höchsten polnischen Liga schnuppern. In den letzen Jahren pendelte man stets zwischen der 4. und der 6. Spielklasse, in welcher man nun feststeckt.

TarnoviaUnia spielt in der 4. Liga. Dazu wird noch Speedway angeboten – also auch ein Sport, der ein großes Stammpublikum bindet. In den Jahren, in denen man auf Augenhöhe war, galt das Derby zwischen Unia und Tarnovia als kleines Krakauer Derby, da die Fans von Unia eine Freundschaft zu Wisla Krakow pflegen. Trotz der sportlichen Talfahrt, kann sich die Anhängerschaft von Tarnovia dennoch in der Stadt behaupten, obwohl sie phasenweise auch mal nicht zu sehen sind. Legendär ist auch die Fahne „Tarnovia orthodox“. Dennoch erscheint die Strafe etwas zu hoch. Man vergleiche die Situation mit dem Berliner Derby von 2006.

BrzozowEs geht weiter. Am nächsten Tag bringt mich ein staatlicher Bus zur Kleinstadt Brzozow in den Vorkarpaten. In der Zeit der Weltkriege blieb man „unverletzt“. Die winzige Innenstadt zählt viele alte Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. Gelegentlich findet man auch 1953-Schriftzüge an den Wänden. Die Zahl ist nicht etwa ein Überbleibsel eines Besuchs von Fans von Dynamo Dresden, sondern das ist das Gründungsjahr von Brzozovia Brzozow und die Hinterlassenschaft stammt vermutlich vom Anhang. Gelegentlich gibt es hier auch in den unteren Ligen brisante Spiele. Dazu gehörte auch lange diese Begegnung zwischen Brzozovia und Sanovia Lesko. Heute ist es wieder soweit. Aber irgendwas ist an diesem Tag anders. Die überdachte Stehtribüne (während der Sitzplatzbereich unüberdacht ist) bleibt nahezu leer. Auf der anderen Seite sitzen ca. 200 Zuschauer. Das Spiel ist hart und es geht heiß her – die Rudelbildung war obligatorisch. Nicht jeder ist mit den Entscheidungen des Schiedsrichters einverstanden und jemand betritt das Spielfeld, um ihm an die Gurgel zu gehen. Die Spieler halten ihn zurück. Es ist spannend bis zur letzten Minute. Am Ende trennen sie sich 2:2.

BrzozowDoch was wurde aus den Ultras? Eine Nachfrage beim Verein ergab, dass sie nach dem letzten heißen Tanz Stadionverbote bekamen – alle! Zwei Jahre müssen sie dem Stadion fernbleiben. Das ist der übliche Umgang mit Fangruppen kleinerer Orte. In Lesko sieht es nicht viel anders aus. Der kurios erscheinende Gästeblock bleibt heut wieder leer. Die Begegnung hebt sich nun nicht mehr stark von den anderen A-Klasa-Spielen (ungefähr wie die deutsche Kreisliga) ab. Langsam neigt sich der Tag dem Ende und die Sonne verschwindet langsam hinter den Bergen der Vorkarpaten, als sich der Bus Richtung Rzeszow in Bewegung setzt.

Fotos: Michael

> Zur turus-Fotostrecke: Fußball in Polen

Benutzer-Kommentare

Es gibt noch keine Benutzer-Kommentare.
Hast du schon ein Konto?
Datenschutz
Durch das Anhaken der folgenden Checkbox und des Buttons "Absenden" erlaube ich turus.net die Speicherung meiner oben eingegeben Daten:
Um eine Übersicht über die Kommentare / Bewertungen zu erhalten und Missbrauch zu vermeiden wird auf turus.net der Inhalt der Felder "Name", "Titel" "Kommentartext" (alles keine Pflichtfelder / also nur wenn angegeben), die Bewertung sowie Deine IP-Adresse und Zeitstempel Deines Kommentars gespeichert. Du kannst die Speicherung Deines Kommentars jederzeit widerrufen. Schreibe uns einfach eine E-Mail: "kommentar / at / turus.net". Mehr Informationen welche personenbezogenen Daten gespeichert werden, findest Du in unserer Datenschutzerklärung.
Ich stimme der Speicherung meiner personenbezogenen Daten zu:
Kommentare