Sonntag 9:30 Uhr in der Nordwestuckermark: Die Wende und ihre Folgen

M Updated 22 September 2014
Sonntag 9:30 Uhr in der Nordwestuckermark: Die Wende und ihre Folgen

FußballNoch eine halbe Stunde bis zum Anstoß. Wir befinden uns im Dorf Wittstock zwischen Fürstenwerder und Prenzlau. Auf den ersten Blick scheinen hier viele Leute zu wohnen. Der ansässige Verein kickt auch in der Kreisliga, was nicht die unterste Liga bedeutet. Bei näherem Hinschauen findet man sich in einer halben Geisterstadt wieder. Fast alle der Häuserblöcke stehen leer – sogar ein ganzes Viertel. Das ehemalige Gutshaus wächst zu. Einige Häuser der Hauptstraße haben Bretter vor den Fenstern anstatt Glasscheiben. Der landwirtschaftliche Betrieb ist verwaist und wurde verwüstet. Das ist die Realität 25 Jahre nach der Wende. Der Anblick eines Pferdewagens erweckt den Anschein, dass man sich eher irgendwo in der letzten Ecke des Oblasts Kaliningrad befindet - das i-Tüpfelchen, das noch fehlte.

uckermarkMit der Wende kam hier das Ende. Hier spürt man den von den Medien so oft für diese Region genutzten Begriff des „demografischen Wandels“ ganz intensiv. Aber ist es wirklich ein natürlicher demografischer Wandel? Die Ursachen des Ausblutens der Region sind eher in der Politik und Planung zu suchen und sie sind den letzten Bewohnern des Ortes auch gut bekannt. Mit der LPG im Ort war alles besser. Anbau von Monokulturen, der Einsatz von Maschinen und weitere Gründe in diesem Bereich boten nicht mehr genügend Arbeitsplätze und die Leute wanderten und wandern noch immer ab. Die einzige Unterstützung seitens der Politik scheint die durch EU-Mittel finanzierte Landstraße zu sein. Mehr Vorteile durch die EU genießt man hier nicht.

uckermarkAber wen sollen die Straßen irgendwann einmal verbinden? Geisterstädte oder gar Wüstungen? Was hat der Uckermärker von der Visa-Freiheit? Eher hat man hier mit den Problemen der Grenzöffnungen zu tun, da kriminelle Gruppen aus dem Osten es auf Landmaschinen abgesehen haben, wodurch viele Bauern vor dem Ruin stehen. Die Polizei sieht man hier seltener als den Rotfuchs. Man fühlt sich von der Politik allein gelassen und auch der rechte Flügel scheint hier keine Hoffnung mehr zu versprühen, was auch die letzten Wahlergebnisse zeigten. Es ist so, wie es ist. Man hat sich damit abgefunden. Fußball bietet heute neben der Feuerwehr den Treffpunkt und damit Abwechslung für die Einwohner.

uckermarkImmerhin bekommt Wittstocks Sportverein noch eine Mannschaft zusammen. Vor dem Spiel stehen sie mit nur einem Punkt im unteren Drittel der neuen Kreisliga Uckermark, aber die Saison ist ja noch lang. Heute besiegt man überraschend die Gäste aus Röddelin. Röddelin bietet Einbahnstraßenfußball und geht mit 1:0 in Führung. Für Wittstock konnte keine einzige Torchance in die Statistik eingetragen werden. In Hälfte zwei gab es dann ein komplett anderes Bild und die Elf in Schwarz führte plötzlich mit 3:1. Kurz vor Ende noch das 3:2, was den letzten Spielminuten noch die Langeweile nimmt.

uckermarkTrotz mehrerer harter Zweikämpfe bleibt die Atmosphäre entspannt. Es fällt immer wieder auf, dass man es hier in der Region trotz der vielen Probleme ruhiger angehen lässt. Da kennt man in Berlin ganz andere Szenen. Ungewohnt ist hier nur das Imbiss-Angebot. Nicht zum ersten Mal heißt es: „Bockwurst? Nee, dit lohnt sich doch nich für die paar Zuschauer!“. Aber 25 Interessierte sind ein gar nicht so schlechter Wert.

Das Wetter kommt jetzt schon herbstlich daher, was für Ende September auch nicht verwundert. Mal weht ein scharfer Wind über den durch Pappeln begrenzten Fußballplatz, mal wärmt die Sonne die Rücken der Zuschauer, von denen sich viele im Rentenalter befinden. Die Uckermark hatte einmal weit über 150.000 Einwohner. Nun droht zum ersten Mal ein Einsinken in den fünfstelligen Bereich. Ein Verlierer dieser Entwicklung ist der Sport. Aber musste es wirklich so weit kommen?

Text & Fotos: Michael

Artikel wurde veröffentlicht am
22 September 2014

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