Duell der Gegensätze: Das Istanbuler Derby Galatasaray gegen Besiktas

JP Updated

GalatasarayEs stand schon besser um meinen türkischen Lieblingsclub Besiktas. In der Vorsaison Tabellenvierter der Süper Lig und damit 22 bzw. 13 Punkte hinter den großen Rivalen Galatasaray und Fenerbahce platziert, folgte im Mai die endgültige Katastrophe, als existenzgefährdende Schulden in Höhe von rund 250 Millionen Euro bekannt wurden. Als erste Strafe wurde der Traditionsverein aus der Europa League ausgeschlossen und der Tabellenfünfte Eskisehirspor rückte nach. Ein vorgestelltes Sanierungskonzept sah vor, dass hauptsächlich die Mitglieder und Fans dafür sorgen sollen, dass der Verein langfristig wieder schuldenfrei sein würde.

So wurde nicht nur eine Erhöhung des jährlichen Mitgliedsbeitrags auf über 100 Euro beschlossen, sondern zusätzlich eine einmalige Aufnahmegebühr von mehr als 500 Euro. Inwiefern dies zum Ziel passte, binnen fünf Jahren die Mitgliederzahl auf mehr als 100.000 zu verzehnfachen, wurde dabei nicht erwähnt. Fakt ist, dass dieser gewaltige Sprung bereits in kürzester Zeit erreicht wurde. Die Fans trugen mit dem Verkauf der „Feda“-T-Shirts ebenfalls mit zur Sanierung bei. Zum Stückpreis von etwa 13 Euro wurden schon mehr als 150.000 Exemplare abgesetzt. Auch wenn dieser Betrag nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein ist, war er ein riesiges Zeichen. Umso wütender waren die Anhänger, dass sie durch drastische Erhöhungen der Eintrittspreise weiter geschröpft werden sollten, was in der Hinrunde zu heftigen Zuschauerprotesten führte. 

Türk Tel ArenaAngesichts dessen und dem zusätzlichen Fakt, dass vor der neuen Spielzeit natürlich keine großen Sprünge auf dem Transfermarkt möglich waren, ist es verwunderlich, dass sich Besiktas fast über die komplette Saison in der Spitzengruppe der Süper Lig hält. Bis auf eine Krise zwischen dem fünften und achten Spieltag, als in vier Spielen nur ein Punkt geholt wurde und die Adler zwischenzeitlich auf Rang 12 abgerutscht waren, spielt man eine sehr gute Saison und stand nach dem 18. Spieltag auf Tabellenplatz 2. 

Komplett gegensätzlich sind die Verhältnisse beim Stadtrivalen Galatasaray. Die Mannschaft hat einen Marktwert von aktuell fast 150 Millionen Euro, im Sommer gab es Neuverpflichtungen wie Filipe Melo von Juventus Turin, Burak Yilmaz von Trabzonspor oder Hamit Altintop von Real Madrid. Zudem spielen die Rot-Gelben seit 2011 in der hochmodernen Türk Telekom Arena, qualifizierten sich als Meister 2012 für die Champions League, stehen dort im Achtelfinale und in der Süper Lig zwei Punkte vor Besiktas auf Platz 1. Ungleiche Voraussetzungen also für ein Derby, welches am Sonntagabend in Istanbul stattfand. Besiktas musste zudem auf vier Stammspieler verzichten und auf die Unterstützung seiner Fans, die in dieser Saison bei allen großen Istanbuler Derbys wegen Randale in der Vorsaison ausgesperrt sind. Galatasaray wiederum verpflichtete wenige Tage vor dem Spiel Wesley Sneijder von Inter Mailand für eine Ablösesumme und ein Jahresgehalt von jeweils 6,5 Millionen Euro.

Die Türk Telekom Arena platze aus allen Nähten. Ohnehin ist das Stadion bei jedem Heimspiel ausverkauft. Denn bei einem Fassungsvermögen von 52.650 Plätzen und 45.000 verkauften Dauerkarten geht bei jeder Begegnung, abzüglich des Gästekontingents, nur eine geringe Anzahl an Tickets in den freien Verkauf, so dass sogar Partien gegen Mannschaften wie Mersin Idman Yurdu, Orduspor oder Akhisar Belediye Genclik Spor zu einem Happening werden, da diese für zahlreiche Galatasaray-Anhänger die einzigen Gelegenheiten sind, ihre Lieblinge live zu erleben. Aufgrund der Gästesperre standen für das Heimspiel gegen Besiktas zwar insgesamt gut 7.000 Karten für Gelegenheitsbesucher zur Verfügung, allerdings hätte ein Vielfaches davon verkauft werden können. Im Internet wurden Tickets für 500 Euro oder mehr gehandelt. Zahlreiche Dauerkarteninhaber verleihen ihre Saisontickets gerade für solche Spiele, und holen sich mit der „Leihgebühr“ die Kosten für das komplette Spieljahr wieder rein. Auch wenn ich solche Fans nicht verstehen kann, schließlich sind doch gerade die Derbys gegen die Erzrivalen Fenerbahce und Besiktas die Höhepunkte der Saison, profitierte ich heute von einem dieser Anhänger, und war mit 130 Euro sogar noch vergleichsweise günstig dabei.

UltraslanDie letzten Minuten vor dem Anpfiff und danach waren ein wirkliches Erlebnis. Die Lautstärke der 52.650 Fans erreichte ohrenbetäubende Ausmaße. Die Ultraslan-Tribüne rollte ihre 45 Meter lange Blockfahne aus und das sagenhafte „Bir-Iki-Üc“ genau zum Spielbeginn und die anschließenden „Lalalalalalalalala – Oh Cim Bom Bom“-Gesänge donnerten in einer selten gehörten Dezibel-Zahl durch meine Ohren. Und als dann Galatasaray in der dritten Minute durch Colak das schnelle 1:0 erzielte, schien die Bühne für einen unvergessenen Fußballabend wirklich geebnet. Auch in der nächsten Viertelstunde war hier wirklich die berühmte Hölle los, das im Champions League-Spiel gegen Manchester United gezeigte Transparent „Welcome to hell“ schien sich zu bewahrheiten. Irgendwann gab es aber einen Bruch. Das Spiel verlor an Esprit, und die Stimmung wurde nur noch durchschnittlich. Sicherlich, wenn alle Zuschauer zusammen loslegten, wurde es in der Arena so laut wie möglicherweise in keinem anderen europäischen Stadion. 

Allerdings passierte das nur noch selten und lediglich bei den ganz bekannten Gassenhauern, die man in wirklich jedem Stadion der Süper Lig hört – mit Ausnahme vielleicht von Istanbul BB, deren gestriges Heimspiel gegen Bursaspor vor traurigen 450 Zuschauern über die Bühne ging. Aber ansonsten blieb das hier unter meinen Erwartungen. Waren diese zu hoch? Nein, ich denke, dass man von einem großen Istanbuler Derby wirklich Außergewöhnliches erwarten kann. Richtig laut wurde es vor dem Seitenwechsel nur noch einmal. Nämlich, als Riera in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit das 2:0 erzielte. Da waren allerdings zahlreiche Zuschauer schon in den Stadionkatakomben beim hier wörtlich zu nehmenden Pausentee, denn Bier wird in türkischen Fußballstadien grundsätzlich nicht ausgeschenkt. Und sie waren noch nicht wieder auf ihren Plätzen, als Besiktas unmittelbar nach dem Wiederanpfiff durch Sivok auf 1:2 verkürzte. War der Auftritt der Schwarz-Weißen bislang zwar solide, aber mutlos, so spielten die Adler nun endlich gleichwertig und die Partie war dabei zu kippen. Der noch aus der Bundesliga bekannte Roberto Hilbert war einer der Spieler, deren Körpersprache sich am sichtbarsten besserte. 

Wesley Snejder SchalGenau in diese Lethargie-Phase des Gastgebers hinein beschloss Galatasaray-Trainer Fatih Terim, dem Derby die entscheidende Wendung zu geben. Er wechselte den zuvor schon lautstark gefeierten Wesley Sneijder ein, der in der 57. Minute unter ohrenbetäubendem Beifall sein Debüt für Rot-Gelb gab. Die Manie, die für diesen Neuzugang zu spüren war, nahm wahrlich fanatische Züge an. 20.000 Fans hatten den Niederländer bei seiner Ankunft am Istanbuler mit Dauergesängen und Bengalfeuern empfangen. Geschäftstüchtige Händler produzierten sogar schon Schals mit seinem Konterfei, ohne dass Sneijder bis dahin auch nur eine Minute für Galatasaray aufgelaufen war. Zudem wurde er auf mehreren Transparenten begrüßt, allerdings auch mit mahnenden Worten: „This is Galatasaray! Wesley you have to put your heart out to be a legend“. 

Die Euphorie nach der Einwechslung des neuen Topstars dauerte aber nur vier Minuten. Dann nämlich wurde Melo vom Platz gestellt, der seinem Gegenspieler aus wenigen Zentimetern Entfernung ins Gesicht spuckte. Mittlerweile hatte es begonnen, stark zu schneien. Besiktas, durch die Lautstärke nach der Sneijder-Einwechslung kurz eingeschüchtert, gewann nun wieder Oberwasser. Allein der Ausgleich gelang nicht mehr, ein Vollstrecker wie der verletzte ehemalige Bremer Hugo Almeida wurde bei einem halben Dutzend Großchancen mehr als vermisst. Am Ende durften 40.000 Galatasaray-Fans den erlösenden Schlusspfiff bejubeln. 40.000? Ja, mehr waren es nicht mehr. Denn gut ein Fünftel der Zuschauer hatte das Stadion schon vor dem Abpfiff verlassen. Angesichts des anschließend erlebten Chaos beim Abmarsch sicherlich nachvollziehbar, aber doch nicht im Derby bei so einem Spielstand. Insgesamt hinterließen die Anhänger der Rot-Gelben also einen schwächeren Eindruck als erwartet. Ultraslan mit seinen 5.000 Leuten muss man ein ausgezeichnetes Zeugnis ausstellen, die Jungs rockten wirklich permanent. Der Rest des Stadions aber war oftmals sehr lethargisch. Der moderne Fußball ist eben anno 2013 auch in der Türkei angekommen.

Durch die Niederlage wurde Besiktas übrigens von Rivale Fenerbahce nach Punkten eingeholt. Fünf Zähler vor den beiden anderen Istanbuler Großclubs zieht derweil Galatasaray an der Tabellenspitze der Süper Lig seine Kreise. Und nicht nur das: Am Tag nach dem Spiel wurde der nächste Megatransfer bekannt gegeben. Didier Drogba, vor einem guten halben Jahr noch Champions League-Sieger mit Chelsea, spielt ab sofort ebenfalls für die Terim-Schützlinge, für ein Handgeld von 4 Millionen Euro und ein Rückrunden-Salär von weiteren 2 Millionen. Türkische Medien berichteten im Zuge des Transfers davon, dass der Meistercoach anstelle von Drogba lieber Kaka von Real Madrid verpflichten wollte. Sorgen, die man bei Besiktas gern hätte…

Fotos: Jörg Pochert

> zur turus-Fotostrecke: Galatasaray Istanbul

 

Benutzer-Bewertungen

In diesem Beitrag gibt es noch keine Bewertungen.
Hast du schon ein Konto?
Ratings
Bewertung / Kommentar für den Artikel
Datenschutz
Durch das Anhaken der folgenden Checkbox und des Buttons "Absenden" erlaube ich turus.net die Speicherung meiner oben eingegeben Daten:
Um eine Übersicht über die Kommentare / Bewertungen zu erhalten und Missbrauch zu vermeiden wird auf turus.net der Inhalt der Felder "Name", "Titel" "Kommentartext" (alles keine Pflichtfelder / also nur wenn angegeben), die Bewertung sowie Deine IP-Adresse und Zeitstempel Deines Kommentars gespeichert. Du kannst die Speicherung Deines Kommentars jederzeit widerrufen. Schreibe uns einfach eine E-Mail: "kommentar / at / turus.net". Mehr Informationen welche personenbezogenen Daten gespeichert werden, findest Du in unserer Datenschutzerklärung.
Ich stimme der Speicherung meiner personenbezogenen Daten zu:
Kommentare