Chelsea FC vs. Arsenal FC: Stehen, singen und siegen im Shed End

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Chelsea FCÜber sterile Atmosphäre in vielen englischen Stadien habe ich nun wirklich genug gejammert. Ja gut, man könnte behaupten, dass heute im Spiel Chelsea gegen Arsenal quasi Prototypen der im eigenen Land als „plastic fans“ verschrienen Erfolgsfans aufeinander treffen würden. Aber davon will ich mich nicht leiten lassen. Immerhin handelt es sich um ein Derby, und auch wenn der Derbybegriff bei sechs ansässigen Erstligisten ein wenig abgegriffen scheint: es handelt sich um das „große“ Derby, die „Battle for the pride of London“ – das sollte doch wohl einige Emotionen wecken?

Arsenal FCUnd auch sportlich verspricht es interessant zu werden. In den vergangenen Monaten fielen beiden Teams häufig durch furiose Offensive und anfällige Defensive auf. In der bisweilen recht unausgeglichenen Premiere League gewann Chelsea z.B. gegen Aston Villa gleich 8:0, Arsenal fertigte Newcastle mit 7:3 ab. Und auch im Pokal sorgten sowohl die Roten als auch die Blauen für Schlagzeilen und hieß es am Ende Reading vs. Arsenal 5:7 n.V. (Arsenal holte ein 0:4 auf) und Chelsea vs. Manchester United 5:4 n.V. In der Liga liegen die Teams aus Manchester deutlich vor den Drittplatzierten Blues, während die Gunners auf Platz sechs um einen internationalen Startplatz bangen müssen. 

Dichtes Schneetreiben in London

Chelsea FCWährend des Fußmarsches zur Stamford Bridge stellt sich im dichten Schneegestöber zunächst die Frage nach der Bespielbarkeit des Platzes, doch Chelsea twittert alle Zweifel beiseite: „It may be snowing but the pitch is still looking good at the Bridge today...” Die Rasenheizung scheint gut zu funktionieren, denn der Platz erstrahlt tatsächlich in frischem Grün. Und auch das Stadion selbst macht eine gute Figur im Schneegestöber: Im Gegensatz zu den oft austauschbar wirkenden Standard-Arenen mit 50-60.000 Plätzen, versprüht die Stamford Bridge mit ihren unterschiedlich hohen und unterschiedlich steilen Tribünen einen gewissen Charme und Charakter. Die offizielle Kapazität liegt bei 42.522, das heutige Spiel ist mit 41.784 Zuschauern ausverkauft.

ChelseaAls die Mannschaften den Rasen betreten, macht der Stadionsprecher laut darauf aufmerksam, dass Chelsea der erste Londoner Club sei, der die Champions League gewonnen hat. Die Fans stimmen entsprechende Gesänge an und machen die Gäste noch einmal höflich darauf aufmerksam, wer hier die „Champions of Europe“ sind. Auch für Arsène Wenger wird gereimt, wenn auch etwas unter der Gürtellinie: „With a packet of sweets and a cheeky smile, Wenger is a fuckin’ pedophile.“ Überhaupt scheint das Shed End (Lower) hinter dem Tor eine recht sangesfreudige Ecke zu sein. Die im Übrigen größtenteils steht. Auf den Tickets prangt zwar in großen Lettern: „Persistent standing is not allowed!“ und ein verzweifelter Ordner versucht immer wieder, dieses Stehverbot durchzusetzen. Doch reicht sein Einfluss nicht sehr weit und so gibt er es auch bald auf (sehr zu meiner Freude). Lediglich die Personen, die den VIP-Zuschauern hinter deren Verglasung die Sicht nehmen, müssen sich (wenn auch laut fluchend) beugen. Die trotzig stehende Menge hat einen hörbar positiven Effekt auf die Stimmung, findet auch mein Nachbar: „This is the stadium’s loudest area, I think everybody should be allowed to stand!“ Das Shed End beweist zudem, wie unpraktisch ein Stehplatzverbot ist, denn den Fans (in der Nähe der Ordner) die es nicht wagen, aufzustehen, wird von den Stehenden die Sicht versperrt. Im Dominoeffekt und unter dem munteren Geräusch klappernder Plastiksitze stehen sie daher immer wieder auf, wenn es auf dem Rasen spannend wird. Und das ist heute häufig der Fall.

Schnelle Führung beflügelt Hochmut

Chelsea FCBeide Mannschaften beginnen wie die Feuerwehr, doch nach kurzer Zeit geht es fast nur noch in Richtung des Arsenal Tores, die Gunners werden von der Flügelzange der Blues förmlich überrollt. Da diese ihre Chancen zunächst konsequent nutzen, steht es nach 16 Minuten bereits 2:0 nach Toren von Mata und Frank Lampard (per Elfmeter). Dies hat naturgemäß einen positiven Effekt auf die Stimmung, neben lobenden Liedern in Richtung der eigenen Spieler („Super, super Frank!“) gibt es auch immer wieder hämische Gesänge für die Gäste („Shall we win a cup for you?“).

Dass Hochmut vor dem Fall kommt, haben die Chelsea Fans allerdings schon erlebt, auch nach einer 2:0 Führung. Und so dreht sich auch heute in der zweiten Halbzeit das Blatt: Arsenal bringt die Heimmannschaft nun in arge Bedrängnis und gibt immerhin zehn Schüsse in Richtung Petr Čech ab. Auch dies hat naturgemäß einen Effekt auf die Stimmung: es wird jetzt häufiger gegen die eigene Mannschaft geflucht, und nach dem Anschlusstreffer durch Theo Walcott in der 58. Minute ist die Laune der Fans der „Champions of Europe“ endgültig gedämpft. Ihr Zorn entlädt sich vor allem immer dann, wenn Fernando Torres uninspiriert am Ball ist („He’s just too much fuckin’ money for what he is!“). Der Stürmer ist seit seinem Wechsel aus Liverpool für €58,5 Mio. nie wirklich an der Stamford Bridge angekommen und weist mit nur 26 Toren in 102 Spielen für die Blues die niedrigste Torquote seiner bisherigen Karriere auf.

Buhmänner und Bundesligaveteranen

Stamford BridgeSo klatschen die Fans euphorisch, wenn er den Ball an einen Mitspieler zu Einwürfen übergibt und fordern immer wieder Demba Ba. Der schon zu Hoffenheim-Zeiten äußerst wechselwillige Stürmer ist über West Ham und Newcastle nun seit der Winterpause bei den Blues gelandet und hat – im Gegensatz zu Torres – mit drei Toren in vier Spielen gleich eingeschlagen. Die Großchance die er sich heute während seiner gut zehnminütigen Einsatzzeit herausspielt, wird aber auf der Linie geklärt. Schon hört man: „You’re worse than Torres!“ – Fußball ist eben ein schnelllebiges Geschäft.

Ba ist übrigens nicht der einzige Bundesligaveteran auf dem Feld: für Chelsea kommt Marko Marin ab der 88. Minute zu einem Kurzeinsatz, Per Mertesacker spielt hingegen in der  Defensive der Gunners durch, einzig Lukas Podolski fehlt krankheitsbedingt.

Für Arsenal reicht es trotz deutlicher Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit nicht mehr zum Ausgleich. Es geht ein sportlich hervorragendes Spiel zu Ende: beide Mannschaften spielten sehr offensiv, mit hohem Tempo, zeigten viele Raffinessen aber gleichzeitig auch großen Einsatz und Kampf. Die Atmosphäre war eines Derbys würdig, nicht nur aus dem Shed End sondern aus allen Ecken der Stamford Bridge brandeten immer wieder die typisch englischen spontanen kurzatmigen Gesänge auf – hauptsächlich jedoch während der sicheren 2:0 Führung und hauptsächlich mit einer großen Portion Überheblichkeit. Dass diese aus einer großen Erwartungshaltung heraus geborene Formel aber nur bei Siegen aufgeht, war in der zweiten Halbzeit deutlich sichtbar.

Fotos: Ricardo Lichtenfeld (Arsenal), Felix Natschinski (Chelsea)

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in England

Der Artikel ist im englischen Original auf www.GroundhoppingEtc.com zu finden. Dort und auf www.facebook.com/GroundhoppingEtc berichtet Felix über seine Stadionerlebnisse, u.a. in Berlin, London oder Prag.

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