1. FC Union Berlin vs. VfL Bochum: Das leiseste Tor an der Alten Försterei

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1:0Protestwochen in der Fußball-Bundesliga: im Stadion an der Alten Försterei werden die letzten unwissenden Zuschauer über 12 Minuten 12 Sekunden Schweigen informiert - durch Plakate, Flyer und Unions Pressesprecher Christian Arbeit, der erklärt, dass bitte alle mitmachen sollen, die Hymne aber noch erlaubt sei: „5 Minuten vor Anpfiff sind wir dann aber auch ruhig damit die Fernsehkameras das von Anfang an mitbekommen. Dann müsst ihr nur wirklich versuchen, ganz ganz leise zu sein." Statt zu Nina Hagen laufen die Teams also bei stillem Winken von den Rängen auf, die „Pssssst!“-Rufe der mahnenden Fans sind noch das lauteste, was man zu hören bekommt.

1:0Protestwochen in der Fußball-Bundesliga: im Stadion an der Alten Försterei werden die letzten unwissenden Zuschauer über 12 Minuten 12 Sekunden Schweigen informiert - durch Plakate, Flyer und Unions Pressesprecher Christian Arbeit, der erklärt, dass bitte alle mitmachen sollen, die Hymne aber noch erlaubt sei: „5 Minuten vor Anpfiff sind wir dann aber auch ruhig damit die Fernsehkameras das von Anfang an mitbekommen. Dann müsst ihr nur wirklich versuchen, ganz ganz leise zu sein." Statt zu Nina Hagen laufen die Teams also bei stillem Winken von den Rängen auf, die „Pssssst!“-Rufe der mahnenden Fans sind noch das lauteste, was man zu hören bekommt.

UnionIm Vorfeld stand die Frage im Raum, wie sich denn eigentlich ein Tor ohne Jubel anfühlen würde? Der Punkt, auf den im Spiel alles zugeschnitten ist, auf den alle sehnsüchtig warten; der Punkt wo Emotionen ihren Höhepunkt erreichen und sich wildfremde Menschen in den Armen liegen? Das würde doch hoffentlich bitteschön bis nach der Protestzeit warten können? So viele Tore fallen in einem durchschnittlichen Fußballspiel sowieso nicht und zuletzt auch tendenziell selten hier. 

AFUnd dann passiert es doch - das, was nicht passieren durfte: nach nur drei Minuten köpft Markus Karl eine Freistoßflanke von Patrick Kohlmann ein. Vereinzelt gibt es unkontrollierte Aufschreie, aber die Union Fans benehmen sich sehr schnell und beschränken sich wieder aufs Winken. Es gibt auch nicht die typische Tor-Ansage durch die Lautsprecher. Keine Emotionen. „Aber abklatschen dürfen wir schon?" fragt einer im Block und so werden zwar keine Fremden wild umarmt, aber im Bekanntenkreis leise grinsend Schultern geklopft und Hände geschüttelt. Es war das wohl leiseste Tor das je an der Alten Försterei erzielt wurde.

AFDoch irgendwie ist es in diesen 12 Minuten 12 Sekunden nicht ganz so ruhig wie es sein könnte. Bei einem beständigen Unterton munterer Unterhaltungen und einem Raunen hier und da, entsteht doch der Eindruck, in einem voll besetzten Stadion zu stehen. Bei einer ähnlichen Aktion in Leipzig vor gut zwei Jahren haben Unionfans vor allem mit vielen stillen selbstironischen Gesten gezeigt, dass es noch ein klein wenig besser geht. Aber es wird nach der Führung auch etwas hektischer auf dem Rasen: Bochum wird plötzlich gefährlich, vor allem nach einigen Ecken - das Raunen wird dabei ein wenig lauter. 

Als die Stadionuhr 12:02 anzeigt, ertönt schließlich der obligatorische Countdown aus den 14.373 Kehlen, als er heruntergebrüllt ist, gibt es eine Explosion aus Konfetti und bis dahin verborgen gebliebenen Fahnen auf beiden Seiten. Die Toransage wird prompt nachgeholt, und die Schals wehen im Takt des ersten Liedes.

AFDoch Bochum versteht es, der Stimmung einen Dämpfer zu versetzen: nach 23 Minuten schließt Zlatko Dedic eine schöne Kombination ab, der Ball landet abgefälscht im Kasten. Die Bochumer machen nach dem Tor weiterhin Druck, Union hat mehrfach Glück - besonders in der 27. Minute als ein weiterer Treffer wegen Stürmerfouls aberkannt wird. Union ist in dieser ersten Halbzeit hinten unsicher und vorne ungenau, die Stimmung auf den Rängen passt sich entsprechend an - man fühlt sich in einigen Momenten fast in die ersten 12 Protestminuten zurückversetzt und kann deutlich scharfe "Vfl!"-Rufe aus dem fast vollen Gästeblock hören. Für Unruhe und Unmut sorgen in dieser Phase vor allem der Bochumer Torschütze mit einigen unfairen Gesten und Beschwerden sowie der nicht immer souveräne Schiedsrichter. Die Halbzeit kommt für die Berliner gerade rechtzeitig.

Union FansIn der Anfangsphase des zweiten Durchgangs finden Mannschaft und Fans ihre Form wieder – erneut überquert ein Kopfball nach einer von Patrick Kohlmann ausgeführten Standardsituation früh die Linie des Bochumer Gehäuses: Adam Nemec trifft nach einer Ecke. Und dieses Mal durfte das Tor auf den Rängen auch gefeiert werden, durch das Stadion geht ein Urschrei der für zwei Tore reichen würde. Union drückt daraufhin weiter bis in der 54. Minute Torsten Mattuschka, dem eine Pause gegönnt wurde, für den gelb verwarnten Silvio eingewechselt wird. Dann stellt sich so langsam wieder eine gewisse Nachlässigkeit ein, besonders Mattuschka verliert in mehreren Situationen leichtfertig den Ball, statt viel versprechende Konter über bereits gestartete Angreifer einzuleiten. Union ist zwar noch überlegen, doch gibt es immer wieder Räume und Chancen für die Gäste – die größte kurz vor Abpfiff, als Unions Torhüter Daniel Haas den Sieg mit einer Glanztat nach einem Schuss aus acht Metern festhält.

Die Berliner gewinnen am Ende ein ausgeglichenes Spiel durch Effizienz – beide Schüsse die direkt auf das Tor der Bochumer gingen, fanden den Weg hinter die Linie. Für diese Effizienz wurde auch ursprünglich ein Adam Nemec, der langsam seine Form zu finden scheint, verpflichtet. Mit 24 Punkten nach der Hinrunde ist man in Köpenick zwar hinter den eigentlichen Zielen zurück geblieben, muss sich aber aller Wahrscheinlichkeit auch keine Sorgen um den Abstieg machen. Anders sieht die Situation bei den Bochumern aus, die mit nur 14 Punkten ganz nah an der Gefahrenzone sind. Zum Rückrundenauftakt empfangen die Berliner am Freitag den 1. FC Kaiserslautern, bei dem es im Hinspiel ein turbulentes 3:3 gab, während die Bochumer am Samstag in Dresden spielen (Hinspiel: 2:1 für Bochum). Geschwiegen wird auch dann in den ersten 12 Minuten und 12 Sekunden.

Fotos: Felix Natschinski

> zur turus-Fotostrecke: 1. FC Union Berlin

Auf www.GroundhoppingEtc.com und www.facebook.com/GroundhoppingEtc berichtet Felix über seine Stadionerlebnisse, u.a. in Berlin, London oder Prag.

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