Rückblick Deutschland vs. Schweden: Mit dem Ohr in der deutschen Kurve

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Hier eine Nachbetrachtung der anderen Art von dem - vor allem für die Sverige (Blågult) - historischem Fußballspiel Deutschland gegen Schweden (Endstand 4:4) im ausverkauften Berliner Olympiastadion. Unser Autor Felix Natschinski ist kein ausgesprochen großer Fan der deutschen Nationalmannschaft, das WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden ist erst das zweite Länderspiel, das er im Stadion verfolgt hat. Seine Erwartungen waren etwas gedämpft, denn an das letzte Mal vor vier Jahren hat er keine guten Erinnerungen:

Mein erstes Länderspiel war in Berlin gegen England, doch den Glanz den man mit dieser Paarung assoziiert, suchte ich vergebens. Kurz vor der Winterpause verloren die mit einer B-Elf antretenden Deutschen blutleer gegen eine nur etwas weniger blutleer spielende englische B-Elf mit 1:2.

Während die englischen Fans munter ihr Repertoire sangen, halfen die Deutschen nicht, die Stimmung zu heben. Um mich herum hörte ich nur „Schau mal, ich bin auf der großen Leinwand!“, „Guck mal, das ist der Podolski!“ und „Setzt euch doch mal hin!“ in verschiedensten Mundarten die mir bewusst machten, dass ich von Fußballtouristen umgeben war, die vermutlich selten ein Stadion von innen sehen. Ein von der Ostkurve kurz angestimmtes „HA HO HE“ wurde sofort niedergepfiffen, an Vereinsfußball wollte damals keiner erinnert werden.

Und als ich jetzt im zweiten Anlauf in der Bahn und auf dem Weg ins Stadion von vielen Seiten aufschnappe, wie hoch der Sieg denn nun ausfallen würde („5:2 gewinnen wir!“, „ein 6:5 wäre schön!“) und Michael Preetz vor Beginn des Spiels gepflegt ausbuht wird, kommt mir das fast wie ein Déjà vu vor. Dieser Eindruck hält sich aber nicht lange. Schon bei der Ankunft in der Ostkurve fällt mir ein ausgewogener Fan-Mix mit hoher Berliner Beteiligung auf (vor allem von den aktuellen Zweitligisten). Optimistisch stimmt mich auch, dass wir das Spiel stehend verfolgen können, ohne (wie damals auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions) angemahnt zu werden.

Auf den Rängen verläuft die Anfangsphase ebenso euphorisch wie auf dem Rasen. Zwischen den Torjubeln ertönt ab und an das bekannte „Deutschlaaand, Deutschlaaand!“ und ein mir unbekanntes und etwas eckig klingendes „Super Deutschland olé!“. Zudem wird Miroslav Klose, der vor Anpfiff mit einem Fairnesspreis ausgezeichnet wurde, besungen.

Seine Tore nehmen dem Spiel in dieser Phase aber auch die Spannung, leichte Langeweile macht sich in der Kurve breit. Der Mangel an einer zusammengeschweißten gemeinsamen Fankultur, die auf ein Arsenal an Ritualen und Schlachtgesängen in jeder Spielsituation zurückgreifen kann, wird deutlich. Behelfsmäßig gehen einige Wellen durch das weite Rund. Sogar die fast komplett gefüllte schwedische Kurve macht mit, wird dabei aber ausgepfiffen. Soviel Rivalität muss dann wohl noch sein.

Als nach etwa einer halben Stunde der Regen einsetzt und das Spiel der Deutschen etwas nachlässig wird, melden sich die schwedischen Fans auch kurz zu Wort, danach heißt es wieder „Super Deutschland olé!“. Etwas vollmundiger wird es, nachdem der Ball zum dritten Mal die schwedische Torlinie überquert: "Ihr seid nur ein Möbellieferant!“ Gemeint war vermutlich: „nehmt den hohen Rückstand nicht so schwer, immerhin habt ihr einen tollen Global Player geschaffen, dessen Früchte auch zu 90% unsere Wohnflächen schmücken.“ Die schwarz-rot-goldenen Fans, besinnen sich aber schnell wieder auf sich selbst und stellen fest, dass das Spiel ja „so schön“ sei, das habe man „schon lange nicht geseh’n“.

Halbzeit. In bester Eurovision-Stimme fragt die Moderatorin: „Where are the Swedish supporters?“ Stille. „Und wo sind die Deutschen?“ Gebrüll. Die zweite Halbzeit startet gemütlich, man kann sich auf den Rängen in Ruhe unterhalten. Mit den Papptafeln der Choreo wird ein Papierfliegerwettbewerb gestartet. Einige schaffen es sogar auf die blaue Aschenbahn. Wer nicht basteln kann, knüllt und kommt damit auch recht weit.

Das vierte Tor tut der Stimmung kurz gut, doch als wieder an Möbel erinnert wird, dreht sich sowohl auf dem Rasen als auch auf den Rängen die Stimmung. Statt „Tor für Schweden“ hätte die Moderatorin auch „Twelve points go to Sweden“ säuseln können. Nach dem zweiten schwedischen Treffer gibt es so etwas wie aufmunternden Support für die deutsche Mannschaft, plötzlich sind Emotionen geweckt: Schweden drückt, Deutschland buht, und meckert gegen Zlatan Ibrahimovic.

Als die blau-gelbe Offensive eine Viertelstunde vor Schluss etwas versiegt, kehren Mut und Möbel zurück, ebenso hört man das schon in der ersten Halbzeit angestimmte „Sieg!“. Mitten in dieser Phase des Optimismus muss Manuel Neuer schon wieder hinter sich greifen. Unglaube, Unsicherheit und Druck: „Auf geht’s Deutschland schießt ein Tor!“, „Auf geht’s Deutschland kämpfen und siegen!

Schlussphase, es wird hektisch: Mesut Özil schießt knapp drüber, im Gegenzug trifft der eingewechselte Tobias Sana das verwaiste deutsche Tor nicht, und ich wippe inzwischen mit zu „Super Deutschland olé!“. Lukas Podolski wird bei seiner Einwechslung kurz vor Ende mit Sprechchören gefeiert. Bei Arsenal bringt er die Fans sogar zum Singen, in der Nationalmannschaft muss er sich mit Kurzeinsätzen abfinden.

Drei Minuten Nachspielzeit, der Schiedsrichter verteilt nervös gelbe Karten, der Block ist erbost. „Sieg!“ brandet wieder auf. Zu früh: Ausgleich – Schluss – Pfiffe, Flüche, Tritte gegen Sitzschalen. Die Moderatorin säuselt aufmunternd etwas vom guten Tabellenstand, aber das Berliner Publikum muss enttäuscht weiter auf einen glanzvollen Fußballabend auf großer Bühne warten.

Sportlich unterhaltsam und spielerisch attraktiv war es in jedem Fall. Die deutsche Kurve hat zwar insgesamt eher lückenhaft und ansatzweise auf sich aufmerksam gemacht, aber von meinem tristen Erlebnis gegen England war das heutige Spiel meilenweit entfernt.

Eine komplette Fotogalerie gibt es auch auf www.facebook.com/GroundhoppingEtc. Dort und auf www.GroundhoppingEtc.com berichtet Felix über seine Stadionerlebnisse, u.a. in Berlin, London oder Prag.

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