Englands verlorener Support: Brentford FC und die letzten Stehplätze

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Der berühmte englische Dauersupport gehört längst der Vergangenheit an und wird kaum noch zelebriert. Nicht wenige englische Fußballfans schauen sehnsüchtig über den Kanal nach Deutschland wo Ultras und andere Fangruppierungen die Kurven und Blöcke regelmäßig zum Kochen bringen. In England ist diese früher beeindruckende Gänsehaut-Atmosphäre bis auf wenige Ausnahmen längst Geschichte. Unser Gastautor Felix Natschinski analysiert in dem folgenden Artikel über die Partie Brentford FC vs. Shrewsbury Town (0:0 - 4.384 Zuschauer) wie wertvoll eigentlich Stehplätze in Stadien sein könnten. Dazu sprach er auch mit Uwe Rösler - unter anderem ehemaliger Spieler von Lok Leipzig, FC Magdeburg, Dynamo Dresden und dem FC Kaiserslautern und jetzt Trainer von Brentford:

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Der berühmte englische Dauersupport gehört längst der Vergangenheit an und wird kaum noch zelebriert. Nicht wenige englische Fußballfans schauen sehnsüchtig über den Kanal nach Deutschland wo Ultras und andere Fangruppierungen die Kurven und Blöcke regelmäßig zum Kochen bringen. In England ist diese früher beeindruckende Gänsehaut-Atmosphäre bis auf wenige Ausnahmen längst Geschichte. Unser Gastautor Felix Natschinski analysiert in dem folgenden Artikel über die Partie Brentford FC vs. Shrewsbury Town (0:0 - 4.384 Zuschauer) wie wertvoll eigentlich Stehplätze in Stadien sein könnten. Dazu sprach er auch mit Uwe Rösler - unter anderem ehemaliger Spieler von Lok Leipzig, FC Magdeburg, Dynamo Dresden und dem FC Kaiserslautern und jetzt Trainer von Brentford:

Als ich vor etwa vier Jahren mein erstes Fußballspiel in London besucht habe, war ich voller Erwartungen. England – Mutterland des Fußballs, eine der stärksten Ligen Europas, begabte Spieler, große Stadien und bestimmt auch eine phantastische Stimmung. Nach einer Vielzahl besuchter Spiele in London ist meine Euphorie mittlerweile gedämpft. Während in deutschen Stadien wohl organisierte Dauergesänge erhallen, hört man in England höchstens ein paar kurze spontane Zwischentöne. Und während in manchen Stadien wenigstens noch eingangs heitere Hymnen mitgesungen werden („Red Robin“ bei Charlton, „I’m forever blowing bubbles“ bei West Ham oder „Blue is the colour“ bei Chelsea), gibt es z.B. bei Arsenal noch nicht mal mehr das.

Auch wird dem geneigten kontinentaleuropäischen Fan auffallen, dass essenzielle Elemente wie Fahnen, Banner, Choreographien oder Ultras fehlen. Ein Hauptgrund ist sicherlich die Hillsborough Katastrophe von 1989, bei der nach einer Massenpanik am Ende fast 100 Tote zu beklagen waren. Die Clubs mussten ihre Stehplätze aufgeben und haben die Gelegenheit gleich genutzt, dabei auch solventere Zielgruppen anzusprechen die hohe Eintrittspreise zahlen ohne das Bedürfnis zu haben, sonderlich zur Stimmung beizutragen.

Diese Umstände sind mir mittlerweile wohlbekannt, dennoch suche ich unverbittert weiter nach Atmosphäre und Leidenschaft in den Stadien jenseits des Kanals. Dieses Mal hatte ich besonders große Hoffnungen: das Ziel war Brentford FC, der in der „League 1“ (dritte Liga) spielt. Das Stadion, der „Griffin Park“, ist mit einer Kapazität von 12.763 Zuschauern eher überschaubar aber hat eine Besonderheit: Stehplätze. Richtig gelesen, es gibt sie also doch noch in England – hier zumindest hinter den Toren. Könnte das der entscheidende Faktor für eine bessere Stimmung sein?

Das Stadion liegt am nordöstlichen Rand von London, nahe am Flughafen Heathrow. Brentford selbst ist nicht gerade nobel, die typischen Reihenhäuser aus Backstein verleihen aber einen bodenständigen sympathischen Charme. „Griffin Park“ ist mitten in diese Wohngegend eingebettet und taucht völlig unvermittelt vor einem auf. Dabei kommt man in jedem Fall an einem Pub vorbei, denn es gibt an jeder Ecke einen.

Der Verein möchte gerne aufsteigen, sich in der zweiten Liga („Championship“) etablieren und neue Fangruppen erreichen. Den Verantwortlichen ist aber bewusst, was für eine Herkulesaufgabe das angesichts der hohen Dichte an hochklassigen Clubs in London ist. Aktuell wird die Infrastruktur schrittweise ausgebaut: neben Marketing und Medizin wird auch die Ausbildung von Nachwuchskickern ganz groß geschrieben – der Verein hat dafür gerade eine eigene Akademie eröffnet.

Trainiert wird die Mannschaft von Uwe Rösler der auf eine bewegte Karriere als Spieler blicken kann: in den späten 1980ern erarbeitete er sich mit seinen Toren für Magdeburg sechs Auftritte in der Nationalmannschaft der DDR. Nach der Wiedervereinigung spielte er für Nürnberg und Dresden, ehe es ihn auf die Insel zog. Dort spielte er sich bei Manchester City von 1994-1998 (lange vor dem dortigen gekauften sportlichen Höhenflug) in die Herzen der Fans mit vielen Toren in seinen über 150 Spielen.

1998/99 kehrte Rösler nach Deutschland zurück, spielte Champions League mit Kaiserslautern und wurde mit dem Versprechen von Champions League nach Berlin gelockt. Er befand sich in Gesellschaft renommierter Spieler die beim Zweitligisten Tennis Borussia Berlin den Aufstieg erreichen sollten. Der Traum platzte, als der Geldgeber, die Göttinger Gruppe, im Laufe der Saison plötzlich Insolvenz anmelden musste. Der Verein verlor seine Lizenz und hat sich seit dem nicht mehr erholt, dümpelt aktuell in der Berlin-Liga vor sich hin.

Als ich Uwe Rösler nach dem Brentford-Spiel darauf anspreche, bezeichnet er TeBe als einen „nicht sehr positiven Abschnitt in meiner Karriere – am Ende der Saison waren wir plötzlich alle arbeitslos. Dabei hatten wir uns gerade erst in Berlin eingelebt.“ Über Berlin als Stadt spricht er sehr positiv und würde eine Rückkehr nicht ausschließen.

Es zog ihn weiter nach Southhampton, Unterhaching und schließlich Lillestrom SK in Norwegen. Dort hätte sein Leben fast frühzeitig geendet: während eines Spiels bekam er plötzlich Atemnot. Die Ursache war ein tennisballgroßer Tumor im Brustbereich, der sofort entfernt werden musste. Die Leidenschaft für den Fußball hat er darüber nicht verloren, noch während der Regeneration fing er an, sich auf seine Trainerlaufbahn vorzubereiten. Lillestrom war die erste von drei norwegischen Stationen ehe Brentford ihn 2011 zurück auf die Insel holte.

Auf meine Frage, wie sich die Fankultur in England seit seiner Zeit bei Manchester City verändert hat, antwortet er prompt: „so wie es damals war, ist es heute noch bei Brentford. Unsere Fans, vor allem auf den Stehplätzen, kreieren eine fast einschüchternde Atmosphäre.“ Er sagt „intimidating atmosphere“, streut auch sonst immer mal einen englischen Begriff ein, was zeigt, wie sehr er in der Sprache und Kultur denkt, die bisher für deutsche Trainer noch recht verschlossen ist. Ich frage ihn beharrlich nach der Atmosphäre bei anderen Clubs und er bestätigt meine eingangs geschilderte Vermutung. Rösler wählt seine Worte mit Bedacht, aber es wird deutlich, dass er die Entwicklung nicht gutheißt. „Damals hatte jeder Spieler sein eigenes Lied, wir waren viel näher an den Fans dran, es gab regelmäßige Treffen. Heute werden die Spieler gleich nach dem Abpfiff von ihren Bodyguards vom Feld geleitet.

Beim Anpfiff auf dem Rasen stand heute übrigens Shrewsbury Town, den Verein habe ich schon vor einem Jahr bei Arsenal im Ligapokal gesehen. Damals fielen etwa 5.000 Shrewsbury Fans in London ein und haben für den Großteil der Stimmung gesorgt. Im tristen Ligaalltag waren es heute nicht mehr als 150. Während der Regen unnachgiebig niederprasselte, entwickelte sich ein typisch englisches Spiel: hoher körperlicher Einsatz gepaart mit kulantem Schiedsrichter. Nur Torchancen waren Mangelware – Brentford hatte insgesamt etwas mehr vom Spiel, lief aber zu oft in die Abseitsfalle, während Shrewsbury hauptsächlich bei Kontern gefährlich wurde. Die zweite Hälfte war Uwe Rösler „zu früh zu offen“, es ging häufig hin und her. Am Ende war der Punkt für Brentford etwas glücklich, denn der Gast traf die Latte und konnte sich zu Recht über einen nicht gegebenen Handelfmeter beschweren.

Die Atmosphäre folgte dem Spielverlauf: konnte man zunächst hauptsächlich die Gästefans hören, wachte der Rest des Stadions in der zweiten Hälfte auf. Insgesamt knüpfte das Erlebnis aber leider doch an meine bisherigen London-Spiele an. Uwe Rösler hat zwar Recht, die Fans auf den Stehplätzen waren zwar deutlich lebhafter als es in einem reinen Sitzplatzstadion möglich wäre. Insgesamt ragten dann aber doch wieder nur kurze Gesangsversuche oder individuelle Flüche heraus.

Wenn also selbst Stehplätze nicht die Atmosphäre schaffen können, nach der ich hier suche, sind meine Erwartungen wohl unrealistisch. Statt krampfhaft nach aus Deutschland bekannten Elementen wie Dauergesängen zu suchen (die manch englischem Fan eher unheimlich vorkommen), sollte ich mich an dem erfreuen, was unter den gegebenen Rahmenbedingungen möglich ist. In dieser Hinsicht war der heutige Besuch ein Erfolg – es war schön zu sehen, wie englische Fußballfans sich an der Bewegungsfreiheit ihrer Stehplätze erfreuen, statt in fest zugeteilten Sitzen eingesperrt zu sein.

Das Gelände auf dem Brentford mittelfristig ein neues Stadion bauen wird, ist schon gekauft. Stehplätze wird es dort nicht mehr geben dürfen – schade, der Club verliert dadurch ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem er auch neue Fans hätte locken können.

> zur turus.net Fotostrecke Fußball in England

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