"Dritte Halbzeit Randale": ZDF zoomt gewaltig daneben

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Wer ist Max Rachals? Ein Journalist, der für die sonst recht niveauvolle Reportagereihe "ZDF zoom" einen halbstündigen Bericht zur aktuellen Lage in den deutschen Fußballstadien erstellte und sich selbst durchgängig  mit schmerzverzerrten Gesicht in Szene setzte (ausgestrahlt am 22. August 2012 und in der ZDF-Mediathek abrufbar). Dass bei diesem brisanten  Thema, welches das ZDF unter dem Titel "Dritte Halbzeit Randale" auch noch publikumswirksam verschlagwortete, Fakten-Genauigkeit gefragt ist, das hat Herr Rachals leider vergessen. Er mixt Halbwissen und nicht stattgefundene Geschehnisse, spricht mit den üblichen Verdächtigen, aber nur mit einem  aus der "Szene" und bringt nicht nur wie in den Medien üblich wieder einmal den Einsatz von Pyrotechnik mit dem Keyword „Ausschreitungen“ in Verbindung, sondern drückt einem seit Jahrzehnten bei allen Klubs gängigen Fangesang das Label „Gewalt“ auf:

Wer ist Max Rachals? Ein Journalist, der für die sonst recht niveauvolle Reportagereihe "ZDF zoom" einen halbstündigen Bericht zur aktuellen Lage in den deutschen Fußballstadien erstellte und sich selbst durchgängig  mit schmerzverzerrten Gesicht in Szene setzte (ausgestrahlt am 22. August 2012 und in der ZDF-Mediathek abrufbar). Dass bei diesem brisanten  Thema, welches das ZDF unter dem Titel "Dritte Halbzeit Randale" auch noch publikumswirksam verschlagwortete, Fakten-Genauigkeit gefragt ist, das hat Herr Rachals leider vergessen. Er mixt Halbwissen und nicht stattgefundene Geschehnisse, spricht mit den üblichen Verdächtigen, aber nur mit einem  aus der "Szene" und bringt nicht nur wie in den Medien üblich wieder einmal den Einsatz von Pyrotechnik mit dem Keyword „Ausschreitungen“ in Verbindung, sondern drückt einem seit Jahrzehnten bei allen Klubs gängigen Fangesang das Label „Gewalt“ auf:

„Hurra, hurra, der Bayer, der ist da!“ Ein Leverkusener Mob, der durch die Kölner Innenstadt zieht. Aggressive Stimmung! Schrecklich! Herr Reporter, machen Sie doch mal ein sorgenvolles Gesicht und hinterfragen Sie dieses Szenario! Bei ZDF zoom wurde in der Doku „Dritte Halbzeit Randale“ gleich zu Beginn mit den üblichen – mittlerweile fast abgedroschenen – Schlagworten verbal umhergeprügelt. 25.000 Ultras sind gewaltbereite Fans, fast tausend Verletzte, Platzsturm. Noch nie gab es so viele Krawalle. Dazu die Bilder von Pyrotechnik. Hinein in die Kerbe, die bereits tief und ausgefranst ist.

So werden in einem Atemzug die Bilder vom friedlichen „Platzsturm“ beim Relegationsspiel Fortuna Düsseldorf gegen Hertha BSC und der dicke Frust-Qualm im Heimblock des 1. FC Köln gleichgesetzt. Dazu ein theatralisch gestöhntes „Oh mein Gott“ im Hintergrund. Ganz daneben gleich der Start der Doku: „Ich bin nach Hamburg gefahren, zu einem sogenannten Problemspiel. St. Pauli gegen Hansa Rostock...“ „Die Stimmung ist bereits vor dem Spiel extrem aufgeladen!“ Oha, klingt wie ein Kriegs-Szenario in den weltweiten Krisengebieten. Aber Kollege Rachals ist nicht in Beirut oder Damaskus, er ist in Hamburg und sein „aufgeladene Stimmung“ war eigentlich keine (wir waren ja bekanntlich auch da).

Aber das sind keine Bilder die der Reporter will, also baut er sich seine eigene Geschichte – vorbei an der Wahrheit: Gezeigt werden Bilder von der Demonstration der Anhänger des FC Hansa Rostock, die vom Bahnhof Hamburg-Altona aus durch die Straßen des dortigen Stadtviertels zog. Eine von Anfang bis Ende friedliche Demo, die sich für die Rechte der Fußballfans und gegen Willkür der Behörden, der Politik, des Verbandes und der Polizei einsetzte. Aber klar doch, junge Männer mit Sonnenbrillen und schwarzen Kapuzen sehen so schön martialisch aus. Selten konnte man sie so problemlos filmen, wie auf dieser Demo. Also hinein mit den Sequenzen. Passt doch! Dazu ein hochgehaltenes Pappschildchen mit der Aufschrift „Fußball-Hooligan“. Dass es sich hierbei um einen Witz bzw. um Selbstironie gehandelt hatte, spielt keine Rolle. Auch das nicht der DFB den Rostockern ein Kartenverbot auferlegte, sondern die Hamburger Polizei ist an dem Journalisten Rachals vorbei gegangen. (zum turus.net Artikel Rostocker Fandemo)

„Wir beobachten, wie sich die Situation vor dem Millerntor zuspitzt...“ Nahtloser Wechsel von der Rostocker Fandemo zum Stadion des FC St. Pauli, vor dem einige hundert Paulianer das Spiel solidarisch von außerhalb verfolgen. Dazwischen noch ein paar kluge Worte des Fanforschers Jonas Gabler (im Hintergrund wieder die Rostocker Fandemo), dann wieder zurück zum Schauplatz Hamburg St. Pauli. „Fast wie erwartet, eskaliert die Lage auf St. Pauli. Ultras werfen Feuerwerkskörper, die Polizei fährt schweres Geschütz auf...“, „Die Bilanz des Geisterspiels: Vier verletzte Polizeibeamte, 13 Festnahmen.“ Und nun die derbste Aussage: „Warum fahren Fußballfans zu einem Spiel, das sie gar nicht besuchen dürfen, um dort zu randalieren?!“

Spätestens jetzt biegen sich die Fußnägel hoch! Durchsehen konnte der „normale“ Fernsehzuschauer eh nicht bei diesem bisherigen Potpourri an bunten, knackigen Aufnahmen. Allerdings wurden sogar die Tatsachen verdreht und komplett falsch dargestellt. Nehmen wir mal den noch positivsten Fall an, Max Rachals hatte an jenem Tag einfach komplett den Überblick verloren. Allerdings war er dann für solch eine TV-Reportage der völlig falsche Mann!

Zum einen handelte es sich bei der Begegnung FC St. Pauli gegen Hansa Rostock nicht um ein Geisterspiel. Vielmehr blieb an jenem Tag nur der Gästeblock geschlossen. Deshalb auch die Rostocker Fandemo in Hamburg-Altona (nur dort genehmigt). Indirekt wurde durch das Vermischen der Fakten sogar den Anhängern des FC Hansa die Mitschuld an der Randale nach dem Spiel gegeben. Hingefahren, um zu randalieren? Das Spiel nicht besuchen dürfen? Von wem sprach Herr Rachals? Fakt ist, dass die Rostocker Demo komplett friedlich blieb. Vielmehr kam es nach der Begegnung zu Auseinandersetzungen zwischen links orientierten Fußballfans bzw. politisch motivierten Personen und der Hamburger Polizei. Selbst ob überhaupt Ultras des FC St. Pauli an den Zwischenfällen beteiligt waren, blieb ungeklärt. Nur zu klar, solche Details spielen in solch einer TV-Reportage keine Rolle – es geht ja nur um Ultras, Randale und die dritte Halbzeit...

Bereits nach vier Minuten durfte man als Fußballkenner dieser Sendung den Stempel „mal wieder typisch“ aufdrücken. Die Tatsache, dass die Angelegenheit im weiteren Verlauf dann doch noch ein wenig sachlicher wurde, konnte die schweren Patzer zu Beginn der Reportage nicht aufwiegen. Da halfen auch die vernünftigen Aussagen von Philipp Markhardt (ProFans) nicht viel. Dass bei „Was sagen Sie zu Geisterspielen?“ das theatralisch verzerrte Gesicht des Fragestellers eingeblendet werden musste,  macht die Sache dann doch wieder ulkig. Auf eine gewisse Art aber nur.

Weniger ulkig gleich im Anschluss die Aussage von Rainer Wendt, dem Präsidenten der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Ultras spielen eine sehr unselige Rolle in der deutschen Fankultur!“ Unterstützend wird sogleich eine Festnahme auf St. Pauli gezeigt – und zwar auf einem mitgebrachten Tablet-PC (was wohl den Anschein einer Modernität wahren sollte, aber peinlich wirkt). Markige Worte. Hartes Vorgehen – und zwar gegen alle Ultras. Keine Diskussion. Punkt.

Wie das sei, wenn sich Polizisten und Ultras gegenüber stehen, wollte Max Rachals wissen. Da bot sich die Möglichkeit des Rhein-Derbys an. 1. FC Köln gegen Bayer 04 Leverkusen. Die Anhänger der Werkself zu Gast in der Domstadt. Ein von der Polizei begleiteter Fanmob, der durch die Stadt zum Stadion begleitet wird. Ja, und? Was soll uns das sagen? Ist das neu? Mussten verfeindete Fußballfans nicht auch in den 70er, 80er und 90er Jahren nach Möglichkeit von einander getrennt werden? Gab es nicht auch damals Fangesänge und Drohgebärden? „Cologne, Cologne, die Scheiße vom Dom...“ Ein echter Klassiker, der bereits vor 30 Jahren gesungen wurde.

„Haben schon Potential dabei...“, lässt ein Zivilbeamter verlauten. Diese Einschätzung wird dem häufig eher belächelten Anhang von Bayer 04 sicherlich freuen. Aber auch hier gilt: Bereits vor 20 Jahren waren Jungs mit Handschuhen in den Gesäßtaschen europaweit mit am Start. Und ja, die Straßenbahnen nach Müngersdorf wurden damals häufig entglast. Nicht von Ultras, nicht von Hooligans, sondern von ganz „normalen“ Fußballfans, die Adrenalin im Blut hatten. Da kann man fast meinen: Früher war alles noch viel, viel schlimmer...

Allerdings könnte man dann nicht solch eine Reportage machen. Die – nun ja – von den GEZ-Zahlern finanziert wird. Also her mit den reißerischen Sequenzen. „Hurra, hurra, der Bayer, der ist da!“ Das flößt dem gemeinen Fernsehzuschauer Angst ein. Und auch vielen Passanten mache „diese Aggressivität“ Angst. „Leeee- ver- kuusen!“ Dazu ein besorgtes Gesicht eines Polizisten. Ohne Polizeiaufgebot würde es an den neuralgischen Punkten ordentlich krachen, so Max Rachals. Und auch die Journalisten gehören zu den Feindbildern der Ultras – ein Stinkefinger in Richtung Kamera soll diese Annahme unterstreichen. Zu einem besseren Verhältnis zwischen Fußballfans / Ultras und den Medien wird dieses Machwerk ganz gewiss nicht beitragen können und zumal: warum sollte sich Presse und Fans verbrüdern, bei der negativen Berichterstattung in den letzten Jahren. Kameras sind noch nie an den Nahtstellen gerne gesehen worden – nicht von den Fans und auch nicht von der Polizei.

Ein letztes Ding: Um auch dem letzten Fernsehzuschauer gleich zu Beginn klar zu machen: Es entstehen Kosten, die zu hundert Prozent der Steuerzahler zu tragen habe. Beim Thema Geld sind die Deutschen derzeit schließlich besonders sensibel. Am Rande: Wer auch sonst soll die Polizei und auch das Fußballgeschäft finanzieren, wenn nicht letztendlich der Steuerzahler, der zugleich Verbraucher bzw. Konsument ist? Weshalb diese Phrase? Das leidige Thema: die Zahlen. Wie schon in früheren Diskussionen und Berichten wird großzügig aufgefahren und das ohne einen Vergleich zu anderen Ereignissen herzustellen:  Über 1.000 Verletzte – 120 Millionen Euro Kosten in der abgelaufenen Bundesligasaison. Das wirkt natürlich besser ohne Vergleich. Dass es beispielsweise beim größten deutschen Volksfest – dem Oktoberfest in München – jedes Jahr auch mehrere hunderte Verletzte gibt, wird verschwiegen und das Oktoberfest ist nur eine Veranstaltung – die erste Bundesliga hat pro Saison gleich 306.

Fazit: Wieder eine überflüssige Reportage die keiner braucht. Dazu ein Journalist, der wohl noch nie in einer Fankurve gestanden hat und sich lieber selbst inszeniert, anstatt sich den wahren Fakten zu widmen und diese ohne martialisches Getöse umzusetzen. Keine Frage: Es gibt Gewalt beim Fußball und deren Folgen sollen hier nicht beschönigt werden, aber das Singen von Liedern und das kontrollierte Abbrennen von Pyrotechnik zählen nicht dazu.

> zu den turus-Fotostrecken: Fußball, Stadien, Fans und Ultras

> Fotostrecke Rostocker Fandemo in Hamburg

> zum turus.net Artikel Rostocker Fandemo in Hamburg

Autoren des Artikel: Marco Bertram und Ralf Schmahld

 

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