Fankongress Berlin 2012: Pyrotechnik-Kampagne sorgt für Emotionen

Fankongress Berlin 2012: Pyrotechnik-Kampagne sorgt für Emotionen

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Durchaus erfolgreich ging der erste Tag des Fankongress 2012 im ehemaligen Kino Kosmos in Berlin über die Runden. Mit Baguettes und frischem Kaffee wurden Kongressteilnehmer, Referenten und Pressevertreter ab 9 Uhr empfangen. Ein erstes Beschnuppern, ein Schauen nach bekannten Gesichtern und schon begann um halb elf im großen Saal die Begrüßung und die kurze Vorstellung der einzelnen Arbeitsgruppen. Ein kurzer Trailer brachte die Anwesenden auf Betriebstemperatur. Poschmanns O-Ton vom DFB-Pokalspiel Borussia Dortmund – SG Dynamo Dresden. Anschließend eingestampfte TV-Geräte und kurze Sequenzen der Fandemo 2010.

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Fans und Pressevertreter hatten die Qual der Wahl. Mit dem Programmheft in der Hand fühlte man sich in Uni-Zeiten zurückversetzt. In welche Vorlesung gehst du? Wo ist Saal 2? Zwischen 11:15 Uhr und 12:45 Uhr sowie 14:15 Uhr und 15:45 Uhr fanden jeweils fünf Veranstaltungen parallel statt. Nach der Kaffeepause rundete eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Wir waren im Stadion und haben es überlebt“ im Kinosaal 1 den ersten Kongresstag ab.


Wilde HordeNach dem zweiten Becher dampfenden Kaffee wurde der Entschluss gefasst. Die Arbeitsgruppe „Der Umgang mit den Fan-Freiheiten: Ein ehrlicher Dialog?“ mit dem Untertitel „Das so genannte St. Pauli-Modell und die Pyro-Kampagne“ sollte es um 11:15 Uhr in Kino 2 sein. Nach den letzten Artikeln bei turus.net über Pyrotechnik würde diese Veranstaltung gut passen. Zudem lockte die Anwesenheit von ein paar Vertretern der Gruppierung „Wilde Horde“ des 1. FC Köln. Und nicht nur das. Die Veranstaltung wurde sogar von Stephan Schell von der Wilden Horde moderiert. Rechte Hand neben dem Podium wurden ein paar mitgebrachte Utensilien angebracht. Trommelstöcke, eine Fahne, ein paar WH-Aufkleber und ein für Belustigung sorgender Aufkleber der Cologne Streetfighters. Ein Stück Kölle in der deutschen Hauptstadt.

Auf ging´s - und das zu Beginn eher schleppend. Anfangs etwas zu monoton erzählte der Moderator von all den Sicherheitsbestimmungen in der Bundesliga. So seien italienische Teleskopstangen in deutschen Stadien eher problematisch. Jedoch auch die PVC-Fahnenstangen sorgten mitunter für Ärger. Kleine Fahnen? Wo sei das Problem, wenn man sie nicht jemanden quer in die Fresse haue, so der junge Mann von der Wilden Horde. Zudem gebe es Ordner, da könne man eine ganze Atombombe in ein Fahnenpaket packen. Andere Ordner schauen dagegen in jedes PVC-Rohr, als wenn es dort was zu sehen gebe. Locker flockig nahm die Sache Fahrt auf.
Nicht zu vergessen die Doppelhalter. Viele würden vergessen, dass es diese bereits einmal in den 60er und 70er Jahren gab. Heutzutage seien sie bei den Ordnungshütern verpönt, weil hinter ihnen versteckt Pyrotechnik angezündet werden könne. Weiter ging es über die Materialfrage bei großen Choreographien der Ultras (BF1, BF2 oder gar BF3) bis hin zum in manchen Stadien verbotenen Klebeband. Eigentlich sei dieses nur zum Anbringen der Zaunfahnen gedacht, doch beim Hamburger SV ist dieses im Gästebereich nicht erlaubt. Da verstehe man die Welt nicht mehr, so der lächelnde Vertreter der Wilden Horde. Und ach ja, bei Bayer Leverkusen und der TSG Hoffenheim sei für die Kölner auch das Anbringen von Zaunfahnen verboten. Das Reinschmuggeln der Zaunfahnen sei überaus abstrus, schließlich gehören sie zur Fankultur wie die Fanschals. Eine bunte Kurve sei nur bunt, wenn man ihr Freiräume gewährt.

BengaloZu Wort kam nun Jens Volke, Fanbeauftragter von Borussia Dortmund. Diesen Job hat er seit dem 01. Januar 2008. Zuvor gehörte er selbst den Ultras des BVB 09 an. In Dortmund habe sich einiges verbessert. Früher gab es viel willkürliches Verhalten. Jene durften keine Trommeln mit hinein nehmen, die anderen dann schon. Dass überhaupt Megaphone erlaubt wurden, war ein echter Schritt. Nürnberg war der erste Verein, der diese den Heimfans erlaubt hatte. Ihm wäre auch am liebsten, man würde Gästefans alles erlauben, so Volke. Allerdings müsse man einen Kompromiss finden zwischen Fans, die nur sitzen, und einer freien Fankurve, die sich selbst reglementiert. Von zu harten Strafen halte er nichts. Nur wegen einer bengalischen Fackel dürfe man nicht gleich beim nächsten Mal alles verbieten. Über die Sache mit dem Klebeband musste auch der Dortmunder Fanbeauftragte den Kopf schütteln. Beim SC Freiburg musste mal ein Kollege einzelne Stücke von der Rolle abreißen und diese sich an die Jacke heften. Erst dann durfte er das Stadion betreten. Und ach ja, und vielleicht handhabt man die Sache in Dortmund in zwei, drei Jahren so wie bei Fortuna Düsseldorf. Dort gilt: Für Gästefans ist alles erlaubt – so lange sie nicht gleich den ganzen Bereich abfackeln.

Kölner UltrasVorerst nur knappe, kurze Worte von Rainer Mendel, Fanbeauftragter und zugleich Sicherheitsbeauftragter des 1. FC Köln. Stichwort Pyrotechnik. Dürfte man Vertrauen haben in Delegationen, die im Innenraum Pyrotechnik abbrennen dürfen? Derzeit lehnen 33 von 36 Profivereinen die Legalisierung auf Grund der Gesetzeslage ab. Ein kontrolliertes Abbrennen sei auf lange Sicht nicht zu realisieren, so Rainer Mendel.
Der Einstieg für Ede von den Ultras Dynamo Dresden, der zugleich Mitglied der Kampagne „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ ist. Nach der Fandemo 2010 in Berlin wurde diese Initiative ins Leben gerufen. 50 Ultra-Gruppierungen und rund einhundert Unterstützergruppen haben sich mittlerweile angeschlossen. Vorbild war die Initiative „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ bei den Nachbarn in Österreich. Vornehmlich gehe es um Bengalische Fackeln. Leuchtspurgeschosse, Leuchtkugeln und Böller seien dagegen weitgehend auch in Ultra-Kreisen verpönt. Nach dem medialen Aufschrei im Zuge der Ereignisse bei den Pokalspielen Eintracht Frankfurt – 1. FC Kaiserslautern und vor allen Dingen Borussia Dortmund – SG Dynamo Dresden müsse nun der Blickwinkel geradegerückt werden, so Ede. Die Suche nach einem legalen Weg gehe weiter, Konzepte wurden bereits ausgearbeitet. Zudem zwitscherte ein Vögelchen das Rechtsgutachten des DFB zu. Und siehe da, im Großen und Ganzen kam jenes zur gleichen Erkenntnis wie das von „Pyrotechnik legalisieren“ in Auftrag gegebene Gutachten. Veröffentlicht wurde es indes nicht.

PyrotechnikDie Frage der heutigen Arbeitsgruppe: Gibt es überhaupt noch einen Dialog zwischen Fans und DFB / DFL? Gesprächsbereitschaft sei von Seiten der Kampagne stets vorhanden. DFB und DFL sehen dagegen keinen Spielraum mehr. Erst recht nicht nach der neuesten Umfrage. Einzelne Verbände seien zwar gesprächsbereit, doch die Verbandsspitze gibt vor: Keine Gespräche mehr zum Thema Pyrotechnik.
Frust auf Seiten der Fans / Ultras. Schließlich gibt es Einzelbeispiele, die gezeigt haben, dass es sehr wohl funktionieren kann. Beim Chemnitzer FC zum Beispiel. Oder beim Eröffnungsspiel im neuen Stadion des Halleschen FC. In Absprache mit Ordnungsamt und Feuerwehr wurde dort kräftig abgefackelt. Zuvor gab es sogar einen Test mit fünf Fackeln. Zudem liegen bei Eintracht Braunschweig und Fortuna Düsseldorf bereits Konzepte vor.

Eine weitere Frage auf dem Podium. Wie geht es weiter? Illegal weiter zünden? Was sei eigentlich das Ziel? Pyro nur in abgesteckten Bereichen? Lächeln bei den Vertretern der Wilden Horde. Nun ja, es wäre schön, wenn im gesamten Fanbereich gezündet wird, doch als Zwischenziel wären die Bereiche akzeptabel.
Wilde Horde? Das ruft sogleich Rainer Mendel (1. FC Köln) auf den Plan. Von Beginn sei der Dialog zwischen DFB /DFL und Fans ein Desaster gewesen. Viel zu spät wurden die Bundesligavereine von Seiten des DFB informiert wurden. Von A bis Z gab es da eine völlig falsche Kommunikation.
Zudem nutzen Sicherheitspolitiker gern diese Bühne, ergänzte Jens Volke. Die Politik mische sich immer wieder ein, und das mit völlig abstrusen Ideen. So auch der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern. Weniger Stehplätze. Eingeschränkte Kontingente. Das mache Angst. Die Ideen kämen von Leuten, die kaum Ahnung vom Fußball haben.

Podium Fankongress 2012Aus der Tiefe des Kinosaals kam nun Gerald von Gorrisson, Fanbeauftragter des DFB, nach vorn zum Podium. Er war eigentlich erst am Nachmittag als Referent vorgesehen, doch auch diese Arbeitsgruppe weckte sein Interesse. Leider habe er von den Spitzengesprächen nichts direkt mitbekommen. Eines stehe jedoch fest: Man rechne mit viel Pyro im kommenden Jahr. Das Beispiel VfB Stuttgart habe gezeigt: Ein Tabu wurde gebrochen. Es wird nun sogar in den Heimbereichen gezündet. Wie das mit den Geldstrafen sei? Einen Strafenkatalog gebe es nicht. Viel mehr haben die Richter ein Fingerspitzengefühl – oder besser gesagt einen Spielraum. Ja, und manchmal hole das Gericht auch die Keule raus. Wie das Beispiel Pokalausschluss der SG Dynamo zeige.

Kann es ein Ziel des DFB sein, den Hass weiter zu schüren, fragte ein Fan. Gorrisson warnte eindringlich vor der Spirale, die sich weiter dreht. Am Ende würde es nur Verlierer geben. Er habe große Sorge, denn auch er sei nicht nur Funktionär, sondern auch emotionaler Fußballfan. Ja, es sei richtig, manch ein Politiker habe so manch ein Thema auf dem Tableau.
Weise Worte nun von der Wilden Horde als Einwurf. Sehr wohl gebe es unter den Ultras gemäßigte Gruppierungen, doch wenn sie langfristig kein Gehör finden, kann das Ganze keine Lösung sein. Auch innerhalb der Gruppe werden dann gemäßigte Ultras kein Gehör mehr finden. Das Sagen werden nur noch die Radikalen haben. Und am Rande: Auf jeder Großveranstaltung sei Pyrotechnik als Entertainment möglich – warum nicht legal kontrolliert beim Fußball?

Wie sehe Gerald von Gorrisson eigentlich die Chance für eine Wiederaufnahme der Gespräche, wollte jemand im Saal wissen. Die Diskussion sei von der Verbandsspitze beendet, erklärte von Gorrisson. „Ist Pyrotechnik etwa die heilige Kuh??“, rief Gorrisson plötzlich aufbrausend in den Saal. Für einen Moment wurde aus dem netten charismatischen Fanbeauftragten des DFB ein harter Zeitgenosse. Gebe es denn nicht auch andere Themen, über die ein Dialog geführt werden könne?
Dialog? Einen Dialog habe es doch noch nie gegeben, beklagte ein weiblicher Fan. Und Ede von den Ultras Dynamo erklärte abschließend, dass die Verbandsspitze doch gar keine Ahnung habe, was in den Fanblöcken passiere. In drei Gesprächen konnte er feststellen, dass die älteren Herren erst einmal einen Einblick bekommen müssen...

Fotos: Marco Bertram

In Kürze folgen zwei weitere ausführliche Berichte über die Veranstaltungen am 14. Januar 2012:
- Identifizieren sich junge Fans zunehmend über die Fankurve?
- Podiumsdiskussion: „Wir waren im Stadion und haben es überlebt!“

> Bericht: Identifizieren sich junge Fans zunehmend über die Fankurve?


> zur turus-Fotostrecke: Fankongress 2012 Berlin

> zur turus-Fotostrecke: Pyrotechnik in deutschen Stadien 

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