Komplette Ostsee-Umrundung mit Zelt und Auto: Erste Etappe von Szczecin nach Frombork

A Updated 29 August 2017
Komplette Ostsee-Umrundung mit Zelt und Auto: Erste Etappe von Szczecin nach Frombork

Als Kind der Küste hat die Ostsee in meinem Leben schon immer eine wichtige Rolle gespielt - ob als Ausflugsziel in den Ferien, heimatlicher Bezugspunkt nach dem Umzug oder Namensgeber für das Lieblingsstadion. Und weil die Ostsee viel mehr zu bieten hat als Warnemünde, Zinnowitz und Ralswiek, haben mein Freund und ich uns auf die Reise gemacht, sie einmal komplett zu umrunden. Dazu hatten wir unseren Škoda Octavia, ein Zelt und drei Wochen Zeit. Um die Reise abwechslungsreich zu gestalten und auch mal kleinere Orte zu sehen, wollten wir Autobahnen und Mautstraßen möglichst meiden und nah an der Küste bleiben. In jedem Beitrag werde ich über ein anderes Land berichten. Und weil jeder schon mal an der deutschen Ostseeküste war und wir aufgrund des Drittliga-Auftakts am ersten Reisetag einen Umweg machen mussten, beginne ich gleich mal mit unserem östlichen Nachbarn Polen.

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Stettin / Szczecin

Der Ausgangspunkt unserer Reise ist Stettin, das wir am Vormittag zu Fuß erkunden. Nach zehn Minuten sind wir an der Oder und weitere zehn Minuten später in der Altstadt, die uns auf Bildern an den Neuen Markt in Rostock erinnert hat. Leider besteht das Panorama, das im Internet irgendwie größer wirkte, aus nur zwei Gebäuden und einer Kirche, die ein paar verputzten Plattenbauten gegenüber stehen. Schade.

Stettin

Ein paar hundert Meter weiter stehen wir auf der Hakenterrasse, die nach dem ehemaligen Bürgermeister Hermann Haken (Ja, der heißt wirklich so.) benannt ist. Im Prinzip eine nette Anlage, bestehend aus einem Plateau mit Springbrunnen, vor und hinter einem weitläufigen Treppenaufgang mit Türmchen. Die graue Farbe des Sandsteins und der Ausblick auf einen Industriehafen vor einem wolkenverhangenem Himmel verleihen dem Ganzen leider nur sehr bedingt Glanz.

Stettin

Durch Alt- und Neustadt zurück zum Hotel werden wir endgültig mit der Tatsache konfrontiert, dass Stettin ziemlich unansehnlich ist. Viele Gebäude sind sehr alt und scheinen nie modernisiert worden zu sein – einige weisen sogar noch Einschusslöcher aus dem Krieg auf. Die Parks sind klein und fast menschenleer. Wie, um der ganzen Situation eine besondere Dramatik zu verleihen, beobachten wir, wie eine Möwe auf sehr unappetitliche Art eine Taube verspeist.

Wirklich gemütlich ist Stettin nur dort, wo sich die meisten Menschen an diesem Sonntag aufhalten: auf dem Markt. Hier werden ein paar Lebensmittel, einige Auf-die-Hand-Gerichte und sehr viel Schnickschnack dargeboten, man schlendert, schaut, riecht und verbringt einen gemütlichen Vormittag.

Markt

Rewal

Wir machen uns also ohne große Umschweife auf den Weg gen Norden, um an die Küste zu gelangen. Den ersten Blickkontakt zur Ostsee nehmen wir im Ferienort Rewal auf, der mit einer engen, dafür umso lauteren Promenade glänzt und über einen Strand verfügt, auf den man von einer Plattform aus einen tollen Blick hat. Kinder spielen, Leute lassen die Seele baumeln und Muddi und Vaddi, die sich hinter ihrem Windschutz unbeobachtet fühlen, gehen ihren täglichen Urlaubsgeschäften nach. Vaddi mit seiner Bierdose im Klappstuhl, Muddi mit ihrer Zeitschrift daneben. Urlaub ist, wenn man sich wohlfühlt.

Polen

Wir verlassen Rewal wieder und bewegen uns weiter in Richtung Kolberg. Der Streckenverlauf gestaltet sich nun eher zähflüssig, da 90 Prozent der Polen scheinbar gerade Urlaub an der Ostsee machen und die verbleibenden zehn Prozent die Straßen aufreißen. Und weil die zehn Prozent auch lieber Urlaub machen würden, stellen sie aus purer Boshaftigkeit Ampeln mit so langen Rotphasen auf, dass die halben Ferien vorbei sind, ehe es grün wird.

Während wir also gefühlt mehrere Tage an roten Ampeln verbringen, haben wir viel Zeit, Radio zu hören. Zu jeder vollen Stunde hören wir, dass es der Kasper aus den USA wieder mal in die Nachrichten geschafft hat, und irgendwas über ein Sunrise Festival berichtet wird. Weil sich unser Polnisch leider auf zufällig aufgeschnappte englische Begriffe beschränkt, stellen wir leider erst vor Ort fest, in Kolberg stattfindet, also dort, wo wir als nächstes gemütlich am Strand spazieren gehen wollen. Irgendwas ist immer.

Kolberg / Kołobrzeg

Das Sunrise Festival ist ein Techno Festival, bei dem sich mehrere hundert Menschen am Strand von einem DJ auf der Seebrücke unterhalten und zum abdancen animieren lassen. Drumherum herrscht ein buntes Durcheinander aus Alkohol, Dixi-Klos, kurzen Röcken und engen Muskelshirts (Größtenteils nicht an einer Person zu finden.). Und Familien mit Kindern, die von dieser Veranstaltung offenbar genauso überrascht wurden wie wir.

Kolberg

Den Abend und die Nacht verbringen wir in Mielno, einem Urlaubsort, der ähnlich laut und frequentiert ist wie Rewal und Kolberg. Das lädt zwar auch nicht unbedingt zum Familienurlaub ein, sorgt aber dafür, dass alkoholische Getränke in größeren Maßeinheiten zu günstigeren Preisen verfügbar sind, was wiederum zu einem ausgedehnten Strandbesuch einlädt.

Czołpino

Am nächsten Tag wollen wir auf dem Weg zur Halbinsel Hel nur einen einzigen Stopp an der dritthöchsten Düne Europas, der Lonsker Düne, einlegen. Eine Stunde, bevor wir dort ankommen sollen, folgen wir spontan einem Schild, das den Weg zu einem Leuchtturm weist, wo wir kurz anhalten und uns die Füße vertreten wollen. Wir stellen also das Auto ab und folgen dem einzigen Weg, den wir finden können. Dieser führt in den Wald und ist nicht weiter beschildert, aber weil alle anderen hier auch langlaufen, sind wir ganz zuversichtlich, irgendwo anzukommen.

Nach einem viertelstündigen Waldspaziergang stehen wir plötzlich sehr unerwartet vor einer weißen Wand. Okay, es ist nicht die Lonsker Düne, aber immerhin eine Düne und die wollten wir schließlich sehen. Also, Schuhe aus und ab dafür. Wir erreichen den Dünenkamm nach einigen anstrengenden Minuten und haben nun einen guten Blick auf die wunderschöne weiße Dünenlandschaft und den nächsten Dünenkamm, den wir über einen Ab- und erneuten Aufstieg erreichen, um dort festzustellen, dass wir noch lange nicht da sind.

Dünen

Denn es folgen zwei weitere Abstiege, auf denen man viel Zeit hat, die schon fast unmöglich weiße Landschaft zu bestaunen, und zwei weitere Aufstiege, auf denen man noch viel mehr Zeit hat, über den fehlenden Widerstand im weichen Sand und das im Auto befindliche Wasser nachzudenken. Die ganze Anstrengung ist aber direkt vergessen als wir den Strand erreichen, weit und breit nichts als Sand und Wasser sehen, die Wellen hören und den Wind riechen können. Das ist die Ostsee. Wegen solcher Momente sind wir hier.

Polen

Ein kleines Schild am Strand weist darauf hin, dass es links entlang zum Leuchtturm geht. Ach ja, da war ja noch was. Weil wir auf keinen Fall über die Düne zurück gehen wollen, wollen wir am Strand entlang zum Leuchtturm laufen, von wo aus ein Weg zurück zum Parkplatz führen soll. Wir spazieren anderthalb Stunden am Strand entlang, die Füße im Wasser, die Hosenbeine hochgekrempelt und trotzdem nass und erreichen schließlich den lang angekündigten Leuchtturm.

Von diesem bleibt hauptsächlich in Erinnerung, dass der Eintritt erst oben, direkt unterhalb der Aussichtsplattform zu entrichten ist, wo sowieso niemand mehr beschließt, keinen Eintritt zahlen zu wollen. Und dass das Ungetüm von Düne von hier aus nicht mal halb so wild aussieht.

Polen

Hel

Weil uns zurück am Auto nicht der Sinn danach steht, eine weitere, noch höhere Düne zu besteigen, streichen wir die Lonsker Düne vom Tagesplan und brettern durch auf die Halbinsel Hel. Die Straßenbeschaffenheit aus anderthalb Spuren ohne Markierung, dafür mit sehr unerwartet auftretenden Nadelöhrkurven und Gegenverkehr lässt jede Geschwindigkeit mindestens doppelt so schnell erscheinen und sorgt für einen etwas erhöhten Adrinalinausstoß am Nachmittag.

Am Ende der Halbinsel Hel beziehen wir im gleichnamigen Ort einen Campingplatz, auf dem die größte Attraktion das Waschhaus ist, an dessen Eingang ganz prominent das Klopapier auf einer langen Stange hängt, sodass jeder Passant im Vorbeigehen erahnen kann, was man da drinnen so vor hat. Da fühlt man sich seinen Mitmenschen doch gleich ganz anders verbunden.

Klo

Gdingen / Gdynia

Der nächste Tag ist der Tag, an dem wir Polen schon wieder verlassen wollen. Über Danzig soll es an die polnisch-russische Grenze nach Kaliningrad gehen. Wir brechen nicht allzu spät auf und erreichen die Hafenstadt Gdynia am späten Vormittag. Unsere letzten Bargeldreserven in Złoty werfen wir in den Parkautomaten, der uns daraufhin ein Zeitfenster von einer Stunde gewährt.

Und weil wir in der Nähe des Hafens parken, brauchen wir uns keine allzu großen Gedanken darüber machen, was wir in Gdynia besichtigen. Industriehäfen sind ja in der Regel nicht die heimeligsten Orte der Welt und dieser hier weicht nicht einen Meter von dieser Regel ab. Auf der Promenade gibt es zwar ein großes Seefahrerdenkmal, einen Rummel und ein paar hübsche Schiffe. Dass unsere Parkzeit vorbei ist, stimmt uns dann aber nicht übermäßig traurig.

Gdingen

Frauenburg / Frombork

Weil wir Sopot und Danzig bereits von einer früheren Reise kennen, beschränken wir unsere Besichtigungsaktivtäten auf alles, was wir aus dem Autofenster heraus sehen können und das ist den größten Teil der Zeit ein dicker Stau am Danziger Hauptbahnhof. Auf dem weiteren Weg über Dörfer, in denen unser ausländisches Kennzeichen die Attraktion der Woche zu sein scheint, geht es weiter nach Frauenburg (Frombork). 

Es ist zu etwa 97 Prozent sicher, dass im hiesigen Dom Nikolaus Kopernikus seine letzte Ruhestätte fand. Auf jeden Fall aber verbrachte er die letzten 30 Jahre vor seinem Tod in Frauenburg, weshalb ihn die Stadt bis heute hochleben lässt: Eine riesige Statue vor dem Dom, eine große Abbildung des Heliozentrischen Weltbildes, das auf seinen Mist gewachsen ist, am Bahnhofsgebäude, eine lange Kopernikusstraße, in der sich trotz intensiver Suche kein Stadion auffinden lässt. Man ist hier schon stolz auf den Wissenschaftler aus dem 16. Jahrhundert.

Frombork

Der kleine Hafen am Frischen Haff sorgt mit seinen Restaurants und einigen Fischerbooten für ein bisschen Gemütlichkeit, bevor es an die Grenze geht. Weil wir unserer persönlichen Navigatorin im Handy aufgetragen haben, unseren Weg nach Kaliningrad ohne Autobahnen zu berechnen, landen wir an einer grünen Grenze irgendwo im Wald, die der Škoda unter viel gutem Zureden wohl auch geschafft hätte. Aber weil wir wenig Lust verspüren, uns gerade in Russland eines illegalen Grenzübertritts strafbar zu machen, wählen wir den Weg des geringsten Widerstandes über die Autobahn. Dort ist zudem die Chance am größten, alle notwendigen Formulare in lateinischer Schrift zu erhalten.

Lest in der nächsten Folge: Bestehen wir die Gesichtskontrolle an der Grenze? Rauscht die Ostsee auf kyrillisch anders? Sind morgen noch alle vier Reifen an Ort und Stelle?

> zum Reiseblog der Autorin: zug-nach-irgendwo.de

> zur turus-Fotostrecke: Unterwegs in Polen

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