Todesstrecke nach Macapá: Von Französisch-Guyana nach Brasilien

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K Updated 17 Januar 2018
Todesstrecke nach Macapá: Von Französisch-Guyana nach Brasilien

Folgend ein exklusiver Südamerikabericht des Schweizer Autors Kalleman für turus.net: Die Passagiere an Bord der Air France nach Cayenne sind ausgesprochen locker. Für einen Nichtfranzosen ist es eigenartig, nach Cayenne zu fliegen, für die Franzosen ist es nichts weiter als ein Inlandflug, einfach ein etwas längerer. Air France fliegt täglich nach Cayenne, das Flugzeug ist gut gefüllt. Was tun die alle in Cayenne? Eine Passkontrolle gibt es aber dennoch, obwohl ich mich immer noch in Frankreich befinde - es geht flott und schon bin ich in der schwülwarmen Luft des Regenwaldes. Denn eigentlich besteht diese Ecke nur aus Wald. Unberührten Regenwald mit einer einzigartigen Flora und Fauna, sowie einem schmalen, bewohnten Küstenstreifen.

autofahrt

Bereits am Flughafen sehe ich Plakate für den Ökotourismus. Und wer den kleinen Flughafen von Cayenne verlässt und sich in dieses frz. Departement begibt, der braucht vor allem eines: Geld! Die Taxifahrt in die Stadt kostet ein kleines Vermögen und das billigste Hotel, das ich finde und das in jeder Beziehung billig wirkt, kostet 45 Euro das Zimmer.
Als Eingangstor zu Südamerika erscheint Cayenne ideal. Statt über die mühsamen grossen Drehscheiben wie São Paulo oder Caracas einzureisen, ist Cayenne stressfrei. Doch wer von hier aus nach Südamerika vordringen will, braucht Zeit und Geld. Es gibt keinen billigen Weg aus Cayenne hinaus.
Ich schaue aus dem Hotelfenster und entdecke bunte Musikgruppen. Heute muss Karneval sein! Ein Stück Glück sage ich mir und mach mich gleich auf ins Zentrum. Die Avenue Charles de Gaulle ist voller Leute, die den prachtvoll kostümierten vorbeiziehenden Gruppen zuschauen. Wie mir versichert wird, sei dies lediglich ein Vorlauf für den richtigen Umzug nächster Woche. Der Karneval dauere hier vier Wochen. Dieser Vorkarneval ist bunt und klein; natürlich ist er nicht zu vergleichen mit den brasilianischen Vorbildern. Wild ist er auch nicht besonders, wie sonst in der Karibik. Er ist beschaulich, herzig, nett.

Guyana

Abends klappen im Zentrum Cayennes – zumindest Sonntags bis Dienstags – die Bürgersteige hoch. Um 15 Uhr schliessen die Läden und dann leert sich das Zentrum langsam aber unaufhaltsam, bis man niemanden mehr in Gassen sieht. Viele nette Festlandfranzosen leben hier, die einem Schwatz nicht abgeneigt sind. Der französische Lebensstil ist allgegenwärtig, und ich frage mich, ob hier die Weissen gar die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Es wimmelt von wunderbaren Cafés, es gibt herrliche Baguettes, man nimmt sich Zeit und arbeitet auch nicht zuviel. Selbst in der einfachen Pizzeria ist der Service ohne Fehl und Tadel und der Tee wird stillvoll bestellt und serviert.

Cayenne ist ein hübsches Städtchen mit zahlreichen Kolonialbauten und einer bunten Bevölkerung: Franzosen, Chinesen, Laoten, dunkelhäutige Menschen, Indianer, Brasilianer, Peruaner. Im Unterschied zu Paramaribo und Georgetown dominieren in Cayenne Bauten aus Stein die Holzbauten.

Cayenne

Im Konsulat Surinames

Meine erste Aufgabe besteht darin, ein Visum für Suriname zu bekommen. Das surinamische Konsulat befindet sich mitten im Zentrum und das Prozedere erweist sich wie befürchtet als äusserst mühsam. Ich bin früh dort und bekomme eine frühe Nummer. Irgendwie ist bei denjenigen, die vor mir dran sind, immer irgendetwas nicht in Ordnung. Sie werden weggeschickt, kommen wieder, werden wieder abgewiesen. Endlich komme ich dran und werde getadelt. Nun weiss ich, dass man Visumanträge für Suriname nicht mit einem braunen Stift ausfüllen darf. Auch bei meinen weiteren Anläufen passt der, mittlerweile betitle ich sie als Kuh, Botschaftsangestellten irgendetwas nicht. Und während ich versuche, irgendeine Logik in diesem Prozedere zu erkennen, wird eine Französin weggeschickt. Sie hat das gleiche Foto vorgelegt, wie sie es sie für ihren französischen Pass verwendet hat. Suriname will ein anderes. Endlich ist die Botschaftsangestellte mit mir zufrieden, der Pass wird einem anderen Angestellten weitergereicht und der verschwindet im Nebenzimmer. Nun heisst es wieder warten. Nach weiteren geschlagenen 90 Minuten wird mein Name aufgerufen. Nun geht es ans bezahlen, nur Kreditkarte wird akzeptiert, das Visum gibt es aber erst übermorgen. Damit fällt auch der Besuch der Raumfahrtsstation Kourou ins Wasser. Denn dazu muss man den Pass vorweisen können. Dazu kommt, dass in Cayenne jeder zusätzliche Tag wortwörtlich teuer bezahlt werden muss. Eigentlich habe ich dennoch einen Tagesausflug geplant. Entweder auf die Gefangeneninsel Ilê de Salut oder an den Strand von Montjoly. Der heftige Dauerregen lässt mich aber träge werden. Ich bleibe in Cayenne. Das Städtchen gefällt mir ganz gut.

Zwei Tage später halte ich das Visum für Suriname in der Hand. Vorerst plane ich von Cayenne aus ostwärts Richtung Brasilien zu reisen und dann von dort nach Suriname zu fliegen, der Flug ist nicht teurer als der Landweg. Alleine schon die Durchquerung von frz. Guyana kostet ein kleines Vermögen. Am Nachmittag mache ich mich also auf zum Minibus-Parkplatz und finde sofort einen Transport nach St. Georges. Auf einer perfekten Strasse, die sich durch den Wald zieht, vorbei an Checkpoints und ausgebrannten Autowracks, erreiche ich zügig die Grenze. Die französischen Zöllner interessieren sich nicht für mich. So hänge ich mich in ein Boot, welches den mächtigen Fluss Oiapoque überquert. Eine Brücke wird zwar gebaut, aber das dauert wohl noch ein paar Jährchen.

Im lauten Brasilien

Der Unterschied zwischen Brasilien und Französisch-Guyana könnte grösser nicht sein. Brasilien ist laut, die Kleidung locker, überall Musik. Es wird gespuckt und gerülpst und vor allem gelebt und geliebt. Guyana ist gesittet, gut gekleidet, ruhig. Der kleine, wenig schöne Ort Oiapoque ist, obwohl in Brasilien, nicht viel billiger als Cayenne. Dafür gibt es zahlreiche Kneipen, in denen lebhaftes Treiben herrscht. Eigenartigerweise machen die Kneipen am Fluss früh zu, dabei hätte ich doch so gerne ein Bierchen am Flussufer genossen. Ein paar hundert Meter den Hügel hinauf warten aber einige andere Kneipen auf mich. Typisch brasilianische natürlich. Plastikstühle, Plastiktische, Grill und grosse Bierflaschen in Behältern, die das Bier kühl halten. Mir gefallen diese einfachen Kneipen viel mehr als unsere durchgestylten Bars. Sie wirken auf mich ehrlicher, ungezwungener, gemütlicher. Als es heftig anfängt zu regnen, ziehe ich mich zurück.

Guyana

Auf der Todesstrecke nach Macapá

Die Strecke von Oiapoque nach Macapa soll zu den gefährlichsten Strassen in ganz Brasilien gehören. Aber am Busbahnhof, der sich etwas ausserhalb des Ortes befindet, ist es gar nicht so einfach, an Informationen zu kommen. Der erste Bus fährt um 13 Uhr, wie mir zahlreiche Personen versichern. Finde ich aber nicht cool, denn dann wäre ich morgens um zwei Uhr in Macapa. Ich kehre zurück an das Flussufer, wo, wie ich feststelle, die Busgesellschaften ihre Verkaufstellen haben. Hätte mir also die Wanderung zum Busbahnhof sparen können. Zahlreiche 4x4 stehen hier für die Reise nach Macapa bereit. Spontan sage ich zu, in so einem Vehikel zu fahren. Die Reise im Pick-up kostet zwar mehr als im Bus, dafür ist man fünf Stunden schneller. Meine Mitreisenden sind eine Indigene aus Cayenne mit ihrem sympathischen Sohn, Mitte zwanzig, und einem schweigsamen Brasilianer, der nach Fortaleza in die Ferien fährt. Unser Fahrer sieht aus wie der Fussballer Ailton ist sehr laut und lacht viel, also er brüllt eher. Bevor die Fahrt losgeht, wird gebetet. Die Strasse sei sehr gefährlich, man brauche Gottes Beistand. Die Indigena und ihr Sohn haben sich die Sicherheitsgurte geschnappt. Bei einem Unfall hätte ich, in der Mitte sitzend, schlechte Karten. Auf den ersten Blick flösst mir die Strasse aber keine Angst ein. Es ist eine roterdige Piste mitten durch den Dschungel. die zumindest in der Regensaison, so wie heute, nur beschwerlich zu passieren ist. Landschaftlich ist es eine wunderschöne Tour, ich aber frage mich, wie die Busse diese steilen, nassen Strassenstücke, die tiefen Pfützen und die Stellen, an denen die Strasse weggeschwemmt wurde, passieren können. Natürlich überholen wir ausserhalb Oiapoques einen dieser Busse. Es fuhr also doch ein Bus um 10 Uhr ab.

Macapa

Zwischendurch machen wir Halt in einem Restaurant, das mitten im Nichts plötzlich vor uns auftaucht. Später gibt es einen längeren Stopp an einer Tankstelle. Unser Fahrzeug hat offenbar einen Defekt, denn die Motorhaube wird geöffnet und ein Mechaniker hantiert am Motor rum. Bei Streckenhälfte, in der Nähe des Ortes Calcoene, endet die roterdige Piste und eine perfekte, grosszügige Asphaltstrasse schlängelt sich durch die Steppe, welche mittlerweile den Wald abgelöst hat, in Richtung Macapa und das bedeutet natürlich, dass nun gerast wird wie verrückt. Darum ist die Strecke wohl so gefährlich. Auch unser Fahrzeug beschleunigt auf 140 Km/h und kurz vor dem Ziel hält unser Fahrer in einer Werkstatt. Nach rund 40 Minuten Warterei beginne ich mich zu ärgern und so frage den Jungen aus Cayenne, warum wir so kurz vor dem Ziel noch einen so langen Halt einlegen. „Hast du es nicht mitbekommen? Das Bremskabel ist gerissen, wir sind den Grossteil der Strecke mit kaputten Bremsen gefahren! Nur die Motorbremse funktioniert noch“ Zum Glück wusste ich es nicht, kann ich da nur sagen.

Macapa

Am Amazonas

Macapa ist ein beschauliches Städtchen mit einem hübschen Fort, aber keinesfalls billig. Am Amazonas-Ufer führt ein Pier weit in den Fluss hinein. Das Restaurant vorne auf dem Pier hat geschlossen. Bei Ebbe zieht sich das Wasser weit zurück. die Jungs springen von der Promenade um im Flussbett Fussball zu spielen. Am Abend flanieren viele Menschen dem Amazonas entlang, Sonntags ist das Zentrum aber ausgestorben. Am Sonntagabend allerdings kommt das ganze Umland an die Uferpromenade. Überall werden Stände aufgebaut. Es gibt Bier, Fleisch, Pommes-Frites, Musik, Breakdance, Spielplätze etc in grosser Zahl. Die Menschen hier sind gut gelaunt und sehr freundlich. Und plötzlich finde ich mich inmitten einer Familie wieder. Natürlich sind alle Kinder weiblich, wie so oft am Amazonas. Das Verhältnis Männlein-Weiblein soll 1:10 betragen. Diese Gruppe besteht aus Grossmutter, Mutter, Tochter, Schwestern und Cousinen. Jessica ist die Wortführerin, eine sehr attraktive junge Mutter, ich schätze sie auf höchstens zwanzig Jahre alt. Wie ich erfahre, kommen sie alle aus dem Umland von Macapa, doch ich habe Mühe, das Gespräch mit Jessica am Laufen zu halten. Ich fliege durch die halbe Welt, lese Zeitung, beschäftige mich mit Krisen, Geschichten und Visionen, bin global und entwurzelt. Jessica kann damit nichts anfangen. Ich lebe im gestern und morgen, unruhig, rastlos, immer in Angst, den Anschluss zu verpassen, immer auf der Suche; man fragt sich nach was eigentlich. Sie lebt im jetzt und hier, geniesst den Augenblick. Hier prallen zwei Welten aufeinander, die keine gemeinsamen Gesprächsthemen finden. Und ich mache mir nichts vor. Sie lebt in der menschlicheren, gerechteren, besseren, vernünftigeren Welt. Während wir schweigend dasitzen und ab und zu wenige Worte wechseln, beginnt mich ihre süsse Cousine, fünf, mit Fragen zu löchern. Sie ist sehr neugierig, will alles über mich wissen und ärgert sich, wenn sie etwas nicht versteht. So ganz anders wie Jessica. Die Kleinen werden hungrig, wir verabschieden uns. Prompt laden mich Brasilianer zu einem Bier ein. Es ist bereits nach Mitternacht und die Jungs wollen nun noch in einen Tanzschuppen, irgendwo ausserhalb des Zentrums. Ich lehne dankend ab.

Amazonas

Am nächsten Morgen habe ein weit grösseres Problem. Nach dreimaligem Versuch, mit meiner Kreditkarte Geld zu beziehen – aus irgendeinem Grund funktionierte es nicht - wurde meine Kreditkarte gesperrt. Die Telefonnummer der Firma liess sich von Macapa nicht erreichen. Zum Glück habe ich noch etwas Cash auf der Seite, vor allem Schweizer Franken und die sind hier wertlos. Ich frage mich, wie man nur auf die hirnrissige Idee kommt, Franken statt Euro mitzunehmen. Ich muss es nach Belem schaffen, denn glücklicherweise habe ich gestern noch einen Flug von Belem nach Paramaribo gebucht ohne diese Buchung hätte das Abenteuer per Anhalter nach Suriname (von dort geht mein Rückflug ab) begonnen. Doch wie komme ich nach Belem? Die Flüge sind sehr teuer und die Schiffe brauchen zu lange. Ich muss meine Schweizer Franken umtauschen können, das wäre die Lösung meines Problems. Ich gehe ins nächste Reisebüro. Was bin ich für ein Glückspilz. Meine Real reicht gerade noch für den billigsten Flug nach Belem. Hurra! Im Hotel will ich meinen Pass aus dem Gepäck fischen. Ich finde ihn erst, als ich den Rucksack zum dritten Mal ausräume. Was man nicht alles übersieht, wenn man in Panik ist. Die Erleichterung ist riesig.
Fotos: Kalleman (Schweiz)

> zu Teil 2: Mit dem Flieger von Brasilien nach Suriname

> zur turus-Fotostrecke: Brasilien

> zur turus-Fotostrecke: Suriname

> zur turus-Fotostrecke: Französisch-Guyana

 

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