Hirschberg

Ein deutscher Pfarrer kehrt in seine schlesische Heimat zurück

 
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ZugSamstag Nachmittag. Schauplatz Regionalzug von Legnica nach Jelenia Gora über Chojnow. Nach der Fahrt mit dem Eurocity "Wawel" von Berlin nach Legnica geht es nun äußerst gemächlich mit einem alten polnischen Bummelzug weiter. Wochentags kann die Fahrt mit diesem Zug ein Desaster werden. Studenten und Pendler stopfen sich in Legnica in den aus Wroclaw kommenden Zug und wer einen Sitzplatz ergattert, hat Glück gehabt. Jetzt am Samstag sind die alten Waggons jedoch relativ leer. Laut ratternd geht es gemütlich voran. Für die 120 Kilometer bis nach Jelenia Gora (einst Hirschberg) braucht der Zug satte drei Stunden.


Zeit genug, um mal komplett herunterzufahren und die Landschaft zu genießen. In Wegliniec wird der Zug halbiert. Ab nun geht es noch ruhiger von dannen. Die Waggons sind nun fast komplett leer. Ausgediente Wagen der 1. Klasse dienen jetzt als gewöhnliche 2.-Klasse-Waggons. Auf roten Polsterbänken sitzend lässt man die Gedanken baumeln. Nebenan schaut ein älterer Mann aus dem Fenster. Man kommt ins Gespräch. Groß ist bei ihm die Freude, noch einen Deutschen im Zug anzutreffen. Das Reiseziel? Identisch. Jelenia Gora, einst Hirschberg. Eine Stadt gelegen zu Füßen des Riesengebirges, die Schneekoppe in Sichtweite. Zweck der Reise? Bei mir ein privater Besuch bei den polnischen Schwiegereltern. Bei ihm ist es eine Reise in seine einstige Heimat.

altDer Stuttgarter Pfarrer im Ruhestand Wolfgang Gottstein wurde nach Polen eingeladen, um dort im Raum Jelenia Gora drei Gottesdienste zu halten. Groß ist seine Freude über diese Einladung. Noch vor Kriegsende wurde er im einstigen Landeshut geboren. Diese Stadt heißt heute Kamienna Gora und liegt ein Stück südöstlich von Jelenia Gora. Zusammen mit seinen Eltern und seinen beiden jüngeren Brüdern wurde er 1946 gewaltsam vertrieben. Seine neue Heimat wurde Stuttgart, wo er jahrzehntelang als Pfarrer tätig war. Stets versuchte er Brücken zu schlagen zwischen Deutschland und Polen. Zu den zurück gebliebenen Deutschen in Niederschlesien hielt er stets Kontakt.

Nun am Feiertag Mariä Himmelfahrt sollte es soweit sein. Ein deutscher Gottesdienst in der Kaplica Sw. Anna in der Altstadt von Jelenia Gora. Im Bummelzug schaut Wolfgang Gottstein begeistert aus dem Fenster und hält Ausschau nach den Kirchen der Ortschaften. Saniert? Welcher Zustand? Meist ist er zufrieden mit den Gotteshäusern. Zufrieden berichtet er, dass er bereits eine Grabstätte in seiner alten Heimat habe. Die örtlichen Priester und Pfarrer waren anfangs wenig begeistert von der Idee einer "Heimkehr". Doch der deutsche Pfarrer hat Humor und meinte nur: "Ganz ruhig! Einatmen, ausatmen, einatmen... Platz ist für alle da..."

Sonntag, 17 Uhr. Man ist verabredet. Ein Gruppenfoto soll vor der Kirche entstehen. Der deutsche Pfarrer gemeinsam mit den Deutschen, die noch so lange in Polen die Fahne hochgehalten haben. Kurz vor Gottesdienstbeginn trudeln die Leute ein. Fast alle werden mit dem Auto vorgefahren. Es sind nicht viele, doch bei allen ist die Begeisterung groß. Viele sind gezeichnet vom hohen Alter, doch man nimmt es mit Humor. "Herr Pfarrer, dann komme ich eben auf vier Beinen zu ihnen!" Gemeint sind die beiden Krücken. Es wird gelacht, die Gesangbücher werden erwartungsvoll in den Händen gehalten. 22 Gläubige haben sich in der kleinen Kirche versammelt. Pfarrer Gottstein ist begeistert vom Innenraum. "Früher dachte ich immer, ach das kleine Ding hier. Doch nun muss ich sagen, diese Kapelle ist sehr hübsch!"

Eine strenge Reihenfolge wird beim Gottesdienst nicht eingehalten. Ein klein wenig wird improvisiert. Ein paar persönliche Worte des Pfarrers, Gebete und ein paar Lieder. Pfarrer Gottstein spricht über die evangelische Kirche in Deutschland und ihre gespaltene Beziehung zu Maria. Er freut sich, dass Maria wieder zunehmend Erwähnung findet. "Nichts menschliches ist dem Herrgott fremd.", "Wenn Gott es kann, hat er es getan." Mit diesen Worten beendet der Pfarrer seinen Gottesdienst. Begeistert ruft er noch einmal alle zusammen, vor dem Gebäude wird ein Gruppenfoto geschossen. "Ein wahrlich historischer Moment", wie Wolfang Gottstein meint. Die Passanten bleiben erstaunt stehen. Minuten später sitzen die älteren Damen und Herrn wieder in den Fahrzeugen und düsen  davon. Pfarrer Gottstein wird noch zu einer Tasse Tee eingeladen, doch zu lange soll dies nicht dauern, denn anschließemd möchte er sich auf seinen nächsten Gottesdienst vorbereiten, in seiner alten schlesischen Heimat.

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus Polen

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