Rote Flora, Essohäuser und Bleiberecht: Augenzeugenbericht zu Auseinandersetzungen in Hamburg

SK Updated
Rote Flora Demo in Hamburg 2013

Demo in HHMehrere tausend Menschen demonstrierten für den Erhalt der Roten Flora, der Essohäuser und einem Bleiberecht der „Lampedusa-Flüchtlinge“. Die Demonstration wurde nach wenigen Metern unvermittelt gestoppt. Anfangs hieß der Befehl „Aufstocken“, vermutlich um ein mögliches erhöhtes Tempo der Demonstration zu verhindern und zumindest den vorderen Block per Spalier begleiten zu können. Beim Aufstocken der Demonstration setzten Beamte bereits Schlagstöcke verdeckt ein. Erst jetzt flogen vereinzelt Flaschen, Steine, sowie pyrotechnische Erzeugnisse. Sofort reagierte die Polizei mit dem Auffahren des WaWe10, welcher zwischen Androhung des Einsatzes von Wasser und dem tatsächlichen Einsatz rekordverdächtig unter einer Minute brauchte.

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Während die Polizei sich vor der Flora eine Straßenschlacht mit den Autonomen lieferte, konnten einige den Bahndamm erklimmen und von dort aus vereinzelt die Nachhut mit Steinen angreifen. An der Kreuzung neben der Flora kam es immer wieder zu massiven Gewaltanwendungen beiderseits. Besonders bayerische Beamte provozierten und griffen Demonstranten und vereinzelt Journalisten an.

Rote Flora DemoEine Demonstration war in diesem Sinne nicht mehr möglich und es entstand der Eindruck von verschiedenen kleineren Kesseln. Verhandlungen auf dem Schulterblatt über eine veränderte Route akzeptierte die Hamburger Polizei nicht. Es gab den Eindruck, als wollte die Polizei auf keinen Fall eine linke Demonstration in Hamburg. So machten sich größere Gruppen auf, selber ohne Polizei zu demonstrieren und zeigten ihre Wut durch den Bau von Barrikaden und vereinzelten Sachbeschädigungen. Auch Polizeikräfte wurden immer wieder Angegriffen. Da besonders im Umfeld der Reeperbahn die Beamten keinerlei Kontrolle über die Situation hatten, griffen sie mit nicht nachvollziehbarer Härte durch. Wild wurde das Pfefferspray genutzt, mit Schlagstöcken und Fußtritten am Boden Liegende trackiert ohne dass die Beamten Festnahmen tätigten oder von den Personen tatsächliche Gewalt ausgingen.
Auch mir widerfuhr dabei eine solche Situation. Eine Person lag bewusstlos in der Detlev-Bremer-Straße am Boden und die Polizeikräfte wollten keinen Sanitäter rufen. Also machte ich mich auf dem Weg „Demosanitäter“ zu holen.

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen von den Auseinandersetzungen in Hamburg

Demo in HamburgAls ich mit diesem ankam, versuchten die Einsatzkräfte diese kleine Straße zu räumen und dabei auch die Personen, welche sich um die bewusstlose Person kümmerten. Obwohl ich mich durch den Presseausweis als solchen auswies, brüllte mich der Beamte an, dass es ihm egal sei und ich dort die Polizeimaßnahmen behindern würde. Als ich mich weigerte, wurde ich geschubst und stolperte widerwillig in die Richtung, in die ich geschubst wurde und bekam direkt einen stumpfen Schlag etwas über der Kniekehle. Der Aufforderung nach einer Dienstnummer kam der Beamte natürlich nicht nach. Bis zur Straßenecke Seilerstraße schubste man die etwa 20 Personen, darunter mich, und erst danach gaben die Beamten Ruhe.

PolizeiImmer wieder kam es in den Nebenstraßen der Reeperbahn zu sog. „Katz-und-Maus“-Spielen. Besonders in der Kastanienallee vor den Essohäusern zeigte sich noch einmal das gewalttätige Gesicht der eingesetzten Beamten. Menschen standen friedlich vor dem Gebäude mit einem Lautsprecherwagen. Beamte erklommen ihn und es sollte Verhandlungen über eine stationäre Kundgebung geben. Als sich die Beamten zurückziehen wollten, zogen sie ohne das etwas geschehen war mehrere Pfeffersprays und sprühten wahllos in und über die Menge.
Direkt an der Tankstelle zogen wenige Demonstranten Bauzäune auf die Straße. Sofort griffen Beamte ein, doch nicht mit der Maßgabe jemanden festzunehmen. So schlugen und traten vier Beamte ca. eine Minute auf eine Person ein, die zwischen zwei Autos lag und zogen anschließend weiter ohne eben jene Person festzunehmen oder für diese einen Sanitäter zu rufen.

HHGegen 21 Uhr sammelten sich etwa 100 Menschen am U-Bhf Hoheluftbrücke und 800 an der Haltestelle Schlump. Während die 100 Menschen brutal niedergeschlagen wurden, zogen die 800 Personen über die Straßen „Beim Schlump“ und Grindelberg in Richtung Hoheluftbrücke. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und es wurde eine SPD-Büro in der Helene-Lange-Straße angegriffen, sowie ein Aldi-Markt gegenüber. Polizeifahrzeuge auf der Straße wurden immer wieder aus Büschen mit Steinen, Flaschen und Farbbeutel angegriffen.

Nachdem die Polizei mit vier Wasserwerfern und mehreren Hundertschaften vor Ort Stellung bezog, beruhigte sich die Situation. In der Innenstadt rund ums Schanzenviertel zogen sich ebenfalls noch einmal mehrere Hundertschaften zusammen, da es an der Flora erneut zu einer Demonstration kommen sollte. Diese fand allerdings nicht statt.

HH PolizeiInsgesamt war die Polizei mit 3.600 Beamten vor Ort und nahm etwa 320 Personen in Gewahrsam. Die zentrale Frage nach diesem Tag lautet: Was hat die Polizei dazu bewogen die Eskalation selber zu suchen. Hätte die Gewalt durch eine Demonstration verhindert werden können wie zum Beispiel der 1. Mai dieses Jahr in Berlin, als es nicht zu den erwarteten Krawallen kam? Auch muss sich die Hamburger Polizei die Frage nach der Verhältnismäßigkeit gefallen lassen. Angriffe gegen Journalisten, das Werfen von Steinen (laut Augenzeugen vom Schulterblatt in Richtung Juliusstraße) und das komplette Verhindern von Demonstrationen, Kundgebung und deren Anmeldungen sind auf parlamentarischer Ebene zu hinterfragen, aufzuklären und sollten Konsequenzen haben. Der Nachweis, es habe Personen gegeben, die auf Gewalt vorbereitet waren, kann hierbei kein legitimier Grund sein das Demonstrationsrecht der Art zu beschneiden und Protestierende unter einen Generalverdacht zu stellen.

Hinweise:
Dieser Bericht ist streng subjektiv geschrieben und kann daher nicht alle Ereignisse des Tages beleuchten.

Die Fotos unterstehen dem Copyright und können in druckbarer, also hochauflösender Qualität erfragt werden.

Fotos: Sören Kohlhuber

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