Serbisches Banditenland? Spurensuche in der Gegend um Lazarevo

MB Updated
Velika Greda

altWas für ein Wortspiel. Die Nachricht schlug weltweit ein wie eine Bombe. „Kriegsverbrecher Mladic festgenommen“, „Der Schlächter wurde gepackt!“, „Mutmaßlicher Kriegsverbrecher Mladic in Serbien gefasst“, „Der Bienenzüchter von Lazarevo“. Letzter Titel stammt aus der Süddeutschen Zeitung. Moment – Lazarevo? Dieser Name kommt mir bekannt vor. Und tatsächlich: Es handelt sich um DAS Lazarevo. Gelegen in der serbischen Vojvodina, an der Straße 7-1 zwischen der Stadt Zrenjanin und der Ortschaft Sutjeska. Nicht weit entfernt von der serbisch-rumänischen Grenze.

altLazarevo – im Jahr 1800 einst als Lazarfeld durch deutsche Kolonisten besiedelt. In der Gegenwart ist diese Ortschaft, in der rund 3.500 Menschen leben, eine von vielen in den Weiten der Autonomen Provinz Vojvodina. Niemand im Ausland würde Notiz von diesem Lazarevo nehmen, wenn, ja wenn nicht der meistgesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher Europas dort aufgespürt und festgenommen wäre.

Weshalb mir dieses Lazarevo unter kam, hat einen ganz anderen Grund. Die Ortschaft liegt messerscharf am europäischen Radwanderweg Iron Curtain Trail, der vom Nordmeer über Mitteleuropa und den Balkan bis zum Schwarzen Meer führt. Bei diesem ICT handelt es sich weitgehend nicht um ausgebaute Radwege, sondern um ruhige Landstraßen, die zu einer Gesamtroute zusammengefügt wurden. Von 2006 bis 2009 half ich dabei, den Abschnitt von Deutschland bis runter in die Türkei auszuarbeiten. Kernstück ist der Abschnitt durch den Balkan - das Filetstück sozusagen. Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien, Mazedonien, Bulgarien. Die Erkundungstour mit dem Fahrrad in der Vojvodina hat sich eingeprägt. Die weiten, flachen Landschaften und die einsamen Ortschaften.

Viele haben sicherlich vermutet, dass sich Ratko Mladic fernab in den Bergen im Süden aufhalten würde. Man hat im Kopf eine feste Vorstellung. Kriegsverbrecher - abgeschiedene Bergdörfer. Bewaffnete Späher an den Zufahrtswegen. Nicht wenige werden gedacht haben, er habe in der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina Unterschlupf gesucht. Lässt man sich die Sache durch den Kopf gehen, hätte er kein besseres Versteck als eine Ortschaft in der Vojvodina aussuchen können. Wer wäre auf die Region gekommen, in der ungarisch-stämmige Bewohner in manchen Provinzteilen die Mehrheit bilden? Zeitungen berichten, dass er dort bei einem Cousin untergetaucht war und zuvor in einem Stadtteil Belgrads gelebt hatte.

altWie sieht es eigentlich aus in der Gegend rings um Lazarevo? Die Route des Iron Curtain Trails, der sich entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs schlängelt, führt auf diesem Abschnitt auf serbischer Seite von Kikinda nach Bela Crkva und Vrsac. Erst dort kreuzt der ICT die Grenze und verläuft ein ganzes Stück auf rumänischem Territorium. Von der Stadt Kikinda aus geht es über die Ortschaften Rusko Selo, Vojvoda Stepa, Rajicevi Salas und Srpski Itebej nach Begejci. Über Krajisnik führt die Route weiter nach Sutjeska. Dort ist die Stelle, an der man der Ortschaft Lazarevo – die nun weltweit bekannt wird  und auch einen deutschen Wikipedia Eintrag bekommen hatte – am nächsten kommt.

altDie dortige Landschaft der Vojvodina ist geprägt von schier endlosen Sonnenblumen- und Maisfeldern. Auf der einsamen Landstraße von Kikinda nach Vojvoda Stepa sieht man linke Hand eine Bauruine. Ein Gebäude mit Kugeltürmchen und großem Vordach. Das massive Tor steht bereits, für den Zaun hatten scheinbar die Finanzen nicht mehr ausgereicht. In den folgenden Ortschaften schaffen zahlreiche Kioske und kleine Läden – wie meist überall in den Balkanländern – eine gute Versorgungsgrundlage. Vor einem alten blau getünchten Haus stapeln sich Zementsäcke, neben dem Eingang stehen eine Eistruhe und ein Kühlschrank mit Getränken. Entlang der Straße von Vojvoda Stepa und Srpski Itebej scheint dann endgültig der Hund begraben. Die Eingangsschilder der Ortschaft Vojvoda Stepa zieren zahlreiche Einschusslöcher. Mit Kleinkaliber wurde dort reichlich geballert.

altLandschaftliche Abwechslung gibt es hier kaum. Mais, Mais und ab und zu Sonnenblumen. Zwischen den Ortschaften, weit abseits der Wohnhäuser, qualmt schon mal ein stinkender Müllhaufen vor sich hin. Ein blauer Wegweiser zeigt, wohin die Reise gehen könnte. Novi Sad, Beograd sowie Zrenjanin und Zitiste. Im nächsten Ort wieder ein ähnlicher Anblick. Die schnurgerade Straße entlang ziehen Oberleitungen in die Ferne. Häuser stehen leicht zurückversetzt Reihe in Reihe. Ein Lebensmittelgeschäft, eine schmucke Kirche, anschließend wieder endlose Maisfelder. Ein paar Kneipen und sogar ein Motel aus jugoslawischen Zeiten gibt es in Zitiste. Der Ort, in dem sich die Straßen kreuzen, scheint ein kleiner Dreh- und Angelpunkt zu sein. Einige Leute, zumeiste junge Männer, machen hier halt und treffen sich auf einen Kaffee oder ein Kaltgetränk unter einem Sonnenschirm. Luftlinie bis Lazarevo: Fünf Kilometer. Entweder man marschiert über das Feld oder fährt über Zrenjanin oder Sutjeska. Während wir zu zweit mit Sack und Pack an einem Kneipchen mit Terrasse vorbeiradeln, winken uns ein paar junge Serben mit Lederjacken und Poloshirts zu. Pivo?! Kava?! Echte Kumpels - alle ein Kopf größer, kurze Haare und breite Schultern. Ins Gespräch kommt man überall. Zumindest zu Touristen ist man hier überaus entspannt.

altVorbei an einem alten Schild der Company Agroziv Begejci geht es weiter in Richtung Südosten nach Krajisnik, Secanj, Boka und Velika Greda. Vorbei am Vereinsgelände des Fußballklubs FK Radnicki 1946. Rote kyrillische Buchstaben auf weißem Grund einer Betonmauer.
Nicht mehr wie ein Jungenstreich wirken die Einschusslöcher im Ortseingangsschild von Velika Greda. Hier wurde größere Munition verwendet. Man vermutet, dass sich in Serbien immer noch hunderttausende Handfeuerwaffen in Privatbesitz befinden. Wirklich Mut macht einem diese Tatsache nicht. Wenn gleich die Felder, Ortschaften und auch die Bewohner so friedlich und verträumt wirken...

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus Serbien

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